Liebe Leserinnen, liebe Leser,

der folgende Text stammt von Peter Kappenberg. Als interessantes Zeitdokument jener Jahre stelle ich seine Erinnerungen hier vor. Er schreibt dazu:

,Auch den nachfolgenden, schon etwas älteren Text von mir, der - überzeichnet - die Atmosphäre in den 1950/60igern während eines Hochamtes  in der Lambertikirche  darstellt... In der Zeit war ich dort Messdiener.'

 

Ihr Henning Stoffers


Was ist ein Tagedieb?

Ach, ist das aufregend, wenn der Weihrauch an den kalten Kirchenfenstern kondensiert, bunt gefärbtes Sonnenlicht im steilen Winkel den bläulichen Dunst durchdringt und das  Kirchenschiff in jene gelbliche Unwirklichkeit taucht, die ich gleichzeitig so liebe wie ich sie fürchte, besonders dann, wenn der Bischof höchstselbst mit langsamen, schweren Schritten, in erwartungsvoll hallender Stille, die hölzerne Treppe zur Kanzel erklimmt, sich mit beiden Armen, unentschlossen und scheinbar verzweifelt an dicken, roten Buchdeckeln festhält, die er oben, nach einer kurzen, aber von allen gefühlten Pause, entschlossen und vernehmlich aufschlägt.

 

Über den klobigen Rand seiner dickglasigen Brille mustert er scheinbar angewidert das graue Schwarz der bekennenden Gläubigen am kühlen Grund der Kirche.

Die Lambertikirche
Die Lambertikirche

" S Ü N D E R ! "

... tobt er plötzlich und unerwartet von der Höhe, die graue Masse duckt sich bis ins Mark erschreckt tiefer auf den Kirchenboden, fast zweitausend Menschen ziehen in banger Erwartung die Köpfe zwischen die Schultern,
alles Gläubige, .... Katholiken. Hier und da erfüllt verzweifeltes Schluchzen die heilige, mittelalterliche Halle, ein 90-jähriges Mütterlein läßt vor Schreck die Geldbörse mit allerelei Kleingeld klimpernd auf die blankpolierten Marmorfliesen fallen, die es für die Kollekte schon bereithielt, aus Sorge, nicht rechtzeitig genügend in den Beutel stopfen zu können.

Bild: Schrolli Schroeder mit großem Dank
Bild: Schrolli Schroeder mit großem Dank

" T A G E D I E B E ! "

In angespannter Stille lauscht die Gemeinde dem Gewitter, das da von oben herab auf sie hereinbricht, wie eine Naturkatstrophe, ja, wie die Worte des Allmächtigen selbst.

" W A S  I S T  E I N   T A G E D I E B ? "

Unheilschwanger schwebt die Frage über allen Köpfen, im tiefsten Innern einer jeden gläubigen Seele Antwort befehlend.

" E I N  T A G E D I E B   I S T   E I N   M E N S C H ,
D E R  D E M   L I E B E N   G O T T   DI E   Z E I T  S T I E H L T !"

Am Ende des Satzes steigt die Tonlage der Stimme des Bischofs in hysterische Höhen. Er zieht in dem jahrhundertealten, ehrwürdigen Gemäuer alle Register seiner von der Kirche  verliehenen Überzeugungskraft. Eine nicht enden wollende polternde Wortlawine göttlicher Belehrungen und Ermahnungen ergießt sich über die am Boden kauernden, zitternden Sünder. Eine halbe Stunde lang durchleben Jung und Alt, Groß und Klein, Arm und Reich, Gesunde und Kranke in geschrieenen, geschmetterten und getobten Sinnbildern das wahrgewordene Weltgericht, an  D I E S E M  Orte, in  D I E S E M  Gottesdienste, durch D I E S E  Predigt, durch   D I E S E N  Bischof und da war doch wohl niemand, der sich nicht zutiefst ertappt und angesprochen fühlte.

Dann unvermittelt ein sanftes
"G E H E T  H I N  I N  F R I E D E N "

Mit ungläubiger Erleichterung erhebt sich die graue Menschenmasse, ... vorbei, erleichtertes Aufatmen paart sich mit den ersten Tönen der leise einsetzenden Kirchenorgel

 "H O S I A N N A - O H   D U   I N   
D E R   H Ö H !"

Frische Weihrauchschwaden wabbern durch das Kirchenschiff,
ein Heer eifriger Messdiener in makellos weißen Gewändern
schwingt dampfende, silbrige Kessel über die Köpfe der Gemeinde.
Der glatzköpfige, dicke Küster mit seinem, an einem langen Stock
befestigten Kollektebeutel, kommt mit trippelnden Schritten
aus der Sakristei, ein untrügliches Zeichen für alle, dass es nun
wirklich vorbei und wieder gut sein würde. Ja, der eine oder andere
freute sich bereits schon auf seinen sonntäglichen Gang in die
Stammkneipe, um das trockene Erlebnis gebührend hinunter zu spülen.

 

Ich glaube, es könnte mir mal wieder ganz gut tun, wenn ich in Münster an einem Sonntag in die Lambertikirche käme, einfach nur so.

 

 

@ 1990 Peter Kappenberg