8. Mai 2020

Liebe Leserin, lieber Leser,

vor 75 Jahre, am 8. Mai 1945, endete der 2. Weltkrieg in Deutschland; in Münster einige Wochen früher, und zwar am 2.4.1945.

 

Die Stadt war zerstört, die Menschen waren in großer existentieller Not. Aber: Deutschland war vom Faschismus befreit. - Mit diesem Beitrag erinnere ich an eine markante Zeitenwende in unserer Stadtgeschichte.

 

Ihr Henning Stoffers


2. April 1945

Das Kriegsende in Münster – Eine Zeitenwende

Blick aus dem Fenster in die Gallitzinstraße mit schemenhaften Wasserturm
Blick aus dem Fenster in die Gallitzinstraße mit schemenhaften Wasserturm

Die Stadt liegt darnieder. Großflächige Trümmerwüsten prägen das Stadtbild. Von der Schönheit vergangener Zeiten ist nichts mehr zu erahnen. Die Wohnungsnot ist groß. Die Menschen kämpfen um ihre Existenz, und nur langsam fassen sie wieder festen Grund unter ihren Füßen.

Eine Bilanz

Mit Fassungslosigkeit schaut die junge Frau auf die Trümmer
Mit Fassungslosigkeit schaut die junge Frau auf die Trümmer

2. April 1945: Britische und amerikanische Einheiten rücken ein. Die Schuttberge behindern die Soldaten bei der Einnahme der Stadt.

Es gab 102 Luftangriffe, rund 700.000 Bomben wurden abgeworfen. Mehr als 1.600 Menschen starben. In dieser Zahl sind nicht die jüdischen Mitbürger enthalten, die in Konzentrationslager verschleppt wurden und dort umkamen. Ebenfalls nicht berücksichtigt sind die Männer, die als Soldaten getötet wurden. Die relativ geringe Zahl von Todesopfern im Stadtgebiet erklärt sich dadurch, dass ein Großteil der Bewohner zunehmend zum Kriegsende aus der Stadt evakuiert worden war.

Im April 1945 verzeichnet Münster lediglich 26.000 Einwohner. Mehr als 80% der ursprünglichen Einwohner hat die Stadt verloren. Ende des Jahres wächst die Einwohnerzahl rasant auf 79.000 Bürger an. Die Zeitungen warnen vor einer Rückkehr nach Münster. Es gäbe keine Wohnungen; Notquartiere, zum Beispiel Bunker, seien überfüllt von Wohnungssuchenden.

Die Wolbecker Straße mit Unterführung
Die Wolbecker Straße mit Unterführung

60% aller Gebäude sind vernichtet, allein in der historischen Altstadt 90%. Die städtische Infrastruktur ist zerstört: Wasserleitungen, Gasleitungen und das Stromnetz. Es sind nur noch wenige Krankenhausbetten vorhanden.

Die Stunde Null - Beginn der neuen Zeit

Die Verwaltungsstrukturen der Nazi-Herrschaft werden abgeschafft. Der nationalsozialistische Oberbürgermeister Albert Hillebrand (1933-1945) wird abgesetzt. - Dr. Alfred Meyer, Gauleiter Westfalen-Nord, Oberpräsident und Teilnehmer der Wannsee-Konferenz, begeht 1945 Suizid. Adolf Hitler und Alfred Rosenberg werden die Ehrenbürgerrechte aberkannt.

Die Straßen, die nach Nationalsozialisten benannt waren, erhalten ihre ursprünglichen Bezeichnungen zurück:
die Adolf-Hitler-Straße wird wieder die Bahnhofstraße,
die Hermann-Göring-Straße wird wieder die Nordstraße,
die Horst-Wessel-Straße wird wieder die Hafenstraße
und die Albert-Leo-Schlageter-Straße wird wieder die Südstraße.
Die Kirdorfstraße – ursprünglich Industriestraße – wird zur Friedrich-Ebert-Straße umbenannt.

Reparaturen und Trümmerbeseitigung

Trümmerbeseitigung am Hafen - Foto ULB Münster
Trümmerbeseitigung am Hafen - Foto ULB Münster

Gewaltige Trümmerberge auf Münsters Straßen, Plätzen und Grundstücken versperren ein normales Fortkommen. Schmale Pfade führen durch ein Trümmermeer.

2.200.000 cbm Schutt, Ziegelsteine, Betonreste, Balken, Hausrat, einsturzgefährdete Gebäude und Gebäudeteile, versteckte Blindgänger sind zu beseitigen.

Kurz nach dem Einmarsch der Alliierten machen sich die von den Militärbehörden eingesetzten Verantwortlichen Gedanken zur Lösung der dringlichsten Aufgaben. Während der Kriegsjahre waren insbesondere Zwangsarbeiter verschiedener Nationen (u.a. Russen, Polen, Franzosen) zur Trümmerbeseitigung und zu Reparaturarbeiten gezwungen worden. Jetzt ist die Bürgerschaft gefordert und auf sich gestellt.

Prinzipalmarkt Sommer 1945 - Foto Carl Pohlschmidt ULB Münster
Prinzipalmarkt Sommer 1945 - Foto Carl Pohlschmidt ULB Münster

Es gibt mehr als 1000 Wasser- und Gasrohrbrüche, die repariert werden müssen. Teilweise erhalten die Bewohner das Wasser aus Hydranten. Man beginnt mit der Entschärfung der Blindgänger. Die Ratten, die sich in den Trümmern massiv vermehrt haben, werden mit allen Mitteln bekämpft.

Blick auf Überwasser Sommer 1945 - Foto Carl Pohlschmidt ULB Münster
Blick auf Überwasser Sommer 1945 - Foto Carl Pohlschmidt ULB Münster

Mitte 1945 beginnt die Schippaktion - eine Selbsthilfeaktion zur Beseitigung der Trümmer. Dazu ist die Bürgerschaft vom Oberbürgermeister Dr. Zuhorn aufgerufen. In den Abendstunden solle freiwillige Aufräumarbeit geleistet werden. Die Mitarbeit müsse für jeden Bürger Ehrensache sein. Zuhorn gibt aber auch zu verstehen, dass Pflichtarbeit angeordnet werden könne, wenn das Ziel nicht auf freiwilliger Basis zu erreichen sei. Ein Jahr später wird eine Zwangsverpflichtung erlassen.

Es gibt genaue Richtlinien, wie mit dem Schutt zu verfahren ist. Zum Beispiel sollen zunächst die Bombentrichter zugeschüttet werden. Die Einläufe zur Kanalisation seien frei zu räumen, damit das Regenwasser ablaufen kann.

Es werden Bezirke eingeteilt und Räumwarte ernannt. Sie sollen mit gutem Beispiel vorangehen und dafür sorgen, dass sich niemand vor der Arbeit drückt.

Zeitzeugen berichten

Eindrucksvoll, optimistisch und auch prophetisch schreibt der Obergefreite Heinz Becker Ende 1944 seinem Bruder:
,Ich hoffe ja stark, dass es das letzte Jahr ist, …denn im kommenden muß doch die Ent­scheidung fallen. Es kann doch nicht ewig so weitergehen. Das der Ausgang für uns schlecht ist, will ich nicht hoffen. Dann brau­chen wir gar nicht erst nach Hause zu gehen, wohin auch, in Münster können wir doch nichts anfangen.
Ja, lieber Raymund, uns steht noch viel Arbeit bevor nach dem Kriege, doch dass wir es schaffen, daran zweifele ich nicht im Ge­ringsten. Wenn wir nur alle gesund und am Leben bleiben. Dann wird es eine herrliche Zeit werden.‘

Paulheinz Wantzen beschreibt die Situation im Juni 1945 wie folgt:
,Als besonders bedrückend wird in Münster noch immer in den meisten Vierteln der Wassermangel empfunden, während man sich mit dem fehlenden Licht jetzt in der Sommerzeit erheblich besser abfindet. Gas gibt es natürlich auch noch nirgends wieder, so dass Kochen ein schwieriges Problem für die Hausfrauen bedeutet. Kohlen werden sehr knapp sein, angeblich soll es je Kopf und Woche 20 Pfund geben, und alles ist bemüht, Holz aufzutreiben. Schwer sind die Hausfrauen mit dem Einkochen beschäftigt...‘

Ein Blick zurück

Vor 75 Jahren wurden die Trümmer beseitigt; der Wiederaufbau begann. Besondere Anerkennung gebührt den Frauen und Müttern, die als Trümmerfrauen ihren Beitrag leisteten. Oft waren die Ehemänner, Verlobten, Söhne oder Freunde im Krieg gefallen oder vermisst. Sie standen vor großen Herausforderungen, insbesondere auch dann, wenn die Wohnung zerstört war, und Kinder und Angehörige versorgt werden mussten. – Mit dem Wort ,Trümmerfrau' schwingt auch heute noch Dank und Hochachtung mit.

Blick auf die Ludgerikirche - Sommer 1945
Blick auf die Ludgerikirche - Sommer 1945

Die Demokratie löst eine verbrecherische Diktatur ab. Zwei Staaten entstehen, die BRD und die DDR. Ein Dreivierteljahrhundert ist inzwischen vergangen, und unsere Stadt ist wieder erblüht Aber wie aus dem Nichts kommt eine neue Bedrohung auf uns zu. Nicht kriegerisches und menschenverachtendes Handeln bedrohen diesmal die Existenz Vieler, sondern ein unsichtbares, tückisches Virus gefährdet die Menschen. Anhand der Erfahrungen aus unserer jahrhundertealten Geschichte wird auch diese Katastrophe überwunden werden.


Quellen

Text und Idee: Henning Stoffers

Abbildungen soweit nicht anders angegeben:

Sammlung Stoffers (Münsterländische Bank - Stadtarchiv)