im Juli 2018

Liebe Leserin, lieber Leser,

ab und zu bin ich in einem sozialen Medium, und dort fiel mir ein Mensch mit religiös geprägten Beiträgen auf. Es ist Walter Böcker, ein emeritierter Domkapitular, der auf seine Weise das Internet seelsorgerisch nutzt.

 

Nun freue ich mich, über ihn an dieser Stelle berichten zu können.

 

Ihr Henning Stoffers


Walter Böcker - Seelsorger lebenslang

Walter Böcker mit Smartphone  und Kleinspitz Benni
Walter Böcker mit Smartphone und Kleinspitz Benni

Was macht eigentlich ein emeritierter Domkapitular, der die 80 überschritten hat? Beten, Lesen, in den Dom gehen? Ja, auch das gehört zu Walter Böckers Alltag. Aber dass er eine Homepage unterhält, aktiv sich bei Facebook mit Menschen austauscht und ein Smartphone routiniert bedient, ist bemerkenswert und dürfte bei Gleichaltrigen eher die große Ausnahme sein. Nicht zu vergessen ist seine Verbundheit zum Karneval und zum Harley-Davidson-Club Monasteria.

Kennenlernen

Nach einigen Mail-Kontakten konnte ich Walter Böcker persönlich kennenlernen. Seine Wohnung liegt im Schatten der Domtürme. Zwei kleine Hunde begrüßen mich mit fröhlich kläffendem Gebell, bevor Walter Böcker hervortritt und mich freundlich empfängt.

Walter Böcker erzählt aus seinem Leben, von seiner Herkunft aus einer einfachen Arbeiterfamilie, über die Kriegsjahre, die er als Kind erlebt hatte und über die frühen Kindheitserlebnisse, die letztlich  schicksalsbestimmend  für seinen Werdegang waren. Es sei Hitler zu verdanken, dass er Priester werden konnte. - Wir sprechen über jüngste Ereignisse, über den beeindruckenden Katholikentag, der nach 88 Jahren wieder in Münster stattfand und über einen Schauspieler, den wir beide kannten: Busso Mehring.

 

Ich habe einen weltoffenen, dem Leben zugewandten, religiösen Menschen kennengelernt, dessen Geschichte hier folgt.

Herkunft + Weichenstellungen

Walter (zweiter von rechts)
Walter (zweiter von rechts)

Walter Böcker wurde 1934 in Altlünen geboren. Der Vater war Arbeiter. Sein kleiner Lohn als Eisenformer musste für den Unterhalt seiner neunköpfigen, religiös geprägten Familie ausreichen.

 

1943 flatterte ein amtlicher Bescheid ins Haus, in dem angeordnet wurde, dass Walter eine Adolf-Hitler-Schule, eine Kaderschmiede der Nazis, besuchen sollte.

Pfadfinder Walter rechts mit Pfadfinderchef Paul Hartz
Pfadfinder Walter rechts mit Pfadfinderchef Paul Hartz

Der Vater weigert sich, sein Kind in diese Instituion zu geben. Fast wäre er für seinen Widerstand in ein KZ gekommen. Seine große Kinderzahl schützte ihn vor diesem schrecklichen Schicksal. Stattdessen wurde er als Soldat an die Front geschickt. Für Walter war dieses Geschehnis die lebensbestimmende Weichenstellung für seinen Werdegang.

Primizfeier in Lünen - Vater mit Zylinder und Mutter mit Hut
Primizfeier in Lünen - Vater mit Zylinder und Mutter mit Hut

Und da war Walters Taufpatin, die Großmutter, die seinem Vater vor ihrem Tod den dringenden Wunsch mit auf den Weg gab, er möge doch dafür ,sorgen', dass eins seiner Kinder Priester würde. Sie starb aber schon 1936.

 

Kindern aus vielköpfigen Arbeiterfamilien war es damals nur schwer möglich, ein Gymnasium zu besuchen zu dürfen. Denn es musste Schulgeld gezahlt werden, für das das schmale Haushaltsgeld nicht reichte. Der Großvater plädierte dafür, dass Walter zur ,höheren Schule' gehen solle, er wolle das Studium finanzieren. Doch er starb schon 1946, als Walter gerade mit 12 Jahren - die Schulen waren bis dahin noch alle geschlossen - die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium bestanden hatte...

Priesterweihe durch Nuntius Erzbischof Bafile
Priesterweihe durch Nuntius Erzbischof Bafile

Das hatte zur Folge, dass Walter zwar aufs Gymnasium ging,  aber schon sehr frühzeitig in den Ferien arbeiten musste: In der Gärtnerei, auf einer Eisenhütte, im Bergwerk unter Tage. Aus Geldmangel verließ Walter die Schule mit der mittleren Reife und begann eine kaufmännische Lehre.

 

Ein Kaplan warb Walter dann für den Priesterberuf, besorgte einige Sponsoren und schickte ihn in ein gerade neu eröffnetes Internat nach Münster. Von da an war sein Weg bis zur Priesterweihe vorgezeichnet. Bis zum Diakonat ging die Ferienarbeit in den verschiedenen Betrieben weiter.

Familie Böcker - Walter mit Eltern und Geschwistern
Familie Böcker - Walter mit Eltern und Geschwistern

Fragen an Walter Böcker

Fotomontage Walter Böcker
Fotomontage Walter Böcker

Ihr Größter Erfolg/ Misserfolg?

 ,Erfolg ist keiner der Namen Gottes' (Martin Buber)

Trotzdem gab es Höhepunkte und Tiefpunkte. Der Höhepunkt im persönlichen Leben war sicher die lange angestrebte Priesterweihe.

 

Der Beruf hat mich erfüllt. Ich habe versucht, aus dem Glauben heraus zu leben und mit vielen Menschen in Kontakt zu kommen. Die Glaubensweitergabe war und ist mir wichtig.

Walter Böcker mit Bischof Felix Genn
Walter Böcker mit Bischof Felix Genn

In den 56 Jahren meiner beruflichen Tätigkeit gab es einen gewaltigen gesellschaftlichen und kirchlichen Wandel, der zu großen Herausforderungen und auch zu Enttäuschungen führte.

 

Am liebsten arbeitete ich in der Gemeinde, weil ich dort von der Geburt bis zum Tod in allen Lebenslagen mit den Menschen verbunden war.

Walter Böcker mit Mutter Theresa 1980
Walter Böcker mit Mutter Theresa 1980

Gern erinnere ich mich aber auch an Begegnungen mit jungen Christen in der DDR über viele Jahre, an viele Glaubenskurse und Exerzitien in der Jugendseelsorge, an die Sternsingeraktionen, für die ich 8 Jahre auf Bundesebene verantwortlich war, an einige „Missionsreisen“ nach Hong Kong, Kalkutta zu den Schwestern von Mutter Teresa, nach Südkorea, Mexiko, Nordghana, auch an persönliche Begegnungen mit 3 Päpsten und einigen Bischöfen…..

Walter Böcker und Freund Bischof Reinhard Lettmann
Walter Böcker und Freund Bischof Reinhard Lettmann

Worüber ärgern Sie sich?

Über manche Entwicklungen in der Kirche: Dass Erneuerungsprozesse ins Stocken geraten, manche Rückschläge in der Ökumene, unnötige Kontroversen und Blockbildungen. - Im persönlichen Bereich: wenn ich hintergangen werde, mir etwas vorgegaukelt wird, Unehrlichkeit verabscheue ich.

Dankgottesdienst zum 80. Geburtstag
Dankgottesdienst zum 80. Geburtstag

Gibt es einen magischen Punkt im Leben?

Ich fühle mich von einer höheren Macht, sprich Gott, geführt, angenommen und geborgen!

 

Was hätte anders gemacht werden sollen?

Je älter ich werde, umso mehr finde ich im Rückblick viele kleine Dinge, die ich heute anders gemacht hätte. Tendenziell hätte ich häufiger Gnade vor Recht ergehen lassen müssen.

Karneval mit Lutz Puhe
Karneval mit Lutz Puhe

Gibt es ein Lieblingsgebet?

Das Vater unser. Es umfasst alles!

Auch: „Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu Dir. Gib alles mir, was mich fördert zu Dir. Nimm mich mir und gib mich ganz zu Eigen Dir!“ (Nikolaus von der Flüe)

Sehr anspruchsvoll und herausfordernd!

Von Kind auf an bete ich gern zwischendurch kleine Stoßgebete!

 

Was bedeutet für Sie Freundschaft?

Meine persönliche Erfahrung: ,Viele Freunde – Keine Freunde!'

Zur wahren Freundschaft gehört absolutes gegenseitiges Vertrauen und Verlässlichkeit. ,Freunde sind Menschen, die da sind, wenn andere gehen!'

Auf einer Harley Davidson
Auf einer Harley Davidson

Ihre Lieblingsspeise?

Ich esse, was auf den Tisch kommt! Außer Tomaten!

 

Ihr Hobby?

Ich habe mehrere Hobbies: Allgemein meine Naturverbundenheit.

Besondere Tierliebe: Hunde (Zwerg- und Kleinspitze); Papageien (Habe noch ein sprechendes Graupapageienpaar). Viele Jahre hatte ich eine in Züchterkreisen bekannte Sittichzucht, besonders verschiedene australische Sitticharten. - Fotografieren. Neuerdings auch Internet: Facebook, WhatsApp, Instagram.

Als junger Priester
Als junger Priester

Was verbindet Sie mit Münster?

Studium, Beruf, Freundschaften (Karneval)

 

Was sollte sich in Münster ändern?

Sozialverträgliche, bezahlbare Wohnungen schaffen; Verkehrsprobleme lösen. Seit ich selbst betroffen bin, weiß ich, dass Kopfsteinpflaster zwar stilecht ist, aber für Rollstuhl- und Rollatorfahrer völlig untauglich und gefährlich. Vielleicht sollte man auch diesbezüglich Überlegungen anstellen. Die Bevölkerung wird bekanntlich im Schnitt immer älter!

Fahrzeugsegnung auf dem Domplatz
Fahrzeugsegnung auf dem Domplatz

Ein persönlicher Wunsch?

Mit meinen bald 84 Jahren bin ich persönlich für mich sehr zufrieden und dankbar! Für die Welt wünsche ich mir nichts sehnlicher als mehr Frieden! (Katholikentag: „Suche Frieden!“) Dazu gehört, dass unsere Politik wieder zur Vernunft und zu verantwortungsvollem Handeln zurückfindet!

Lebensstationen (gekürzt)

Johannes Paul II, Bischof Reinhard Lettmann und Walter Böcker
Johannes Paul II, Bischof Reinhard Lettmann und Walter Böcker

Geboren am 20. August 1934 in Lünen (Altlünen)

Priesterweihe am 2. Februar 1962

1962 Kaplan in Duisburg (Homberg) St. Johannes

1968 Diözesanjugendseelsorger sowie Diözesanpräses des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend

1973 Bundespräses des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend – Frauenjugend

1976 Leiter der Bischöflichen Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofkonferenz- Frauen- und Mannesjugend. Das hat insofern eine besondere Bedeutung, als damit zum ersten Mal die Ämter Frauenjugend und Mannesjugend zusammengelegt wurden. Bis dahin gab es nur die getrennten Ämter, auch in den Jugendverbänden.

1981 Pfarrer und Propst an der Basilika und Propsteikirche St. Viktor in Xanten

1984 Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Bischöflichen Generalvikariat, Geistlicher Rat

1984 Dompfarrer an der Hohen Domkirche in Münster

1987 Residierender Domkapitular an der Hohen Domkirche in Münster

2009 entpflichtet als Dompfarrer und Dompoenitentiar. Domkapitular em.


Für unser Gespräch hatte ich meine Fragen formuliert und sie vorab an Walter Böcker geschickt, damit er sich vorbereiten könne. Er müsse nicht jede Frage beantworten, und ich würde ihn beim nächsten Besuch dann interviewen. Aber einige Tage später hatte ich Post von ihm; alle Fragen waren ausführlich beantwortet. Danke.


Quellen

Text und Idee: Henning Stoffers

Fotos: Walter Böcker, Bischöfliche Pressestelle und Henning Stoffers