Völkerschauen im alten Zoo von Münster

Junge Inder in volkstümlicher Tracht, Samoanerinnen, „Australneger“, Sioux-Indianer oder "Hottentotten" aus der deutschen Kolonie Südwestafrika: Zu Kaisers Zeiten zeigten deutsche Zoos nicht nur wilde Tiere, sondern Männer, Frauen und Kinder aus fernen unbekannten Kontinenten – zum Begaffen freigegeben. Die Bescher rannten den Zoos die Bude ein und  kamen in Scharen zu den „Völkerschauen“. Auch der Zoologische Garten in Münster stellte von 1879 bis Ende der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts Menschen aus.


Ganz neu war das nicht, denn diese Menschenausstellungen gab es bereits seit dem 16. Jahrhundert auf den Jahrmärkten. Auch auf dem Send konnte man nicht nur die „große Riesendame mit Bart“, den „Wunderzwerg“ oder die „armlose Fußkünstlerin“ anstarren, sondern auch ein „echtes Buschkind“ oder „die junge Indianerin, welche einen Ring durch die Nase trägt“.


Die Idee des „Menschenzoos“ stammte von Carl Hagenbeck. Der Hamburger Tierhändler hatte ab 1874 seinem Publikum in einer "anthropologisch-zoologischen Ausstellung" auch Menschen öffentlich präsentiert und damit eine neue Geldquelle gefunden. Hagenbeck und einige andere Veranstalter schickten die „Völkerschauen“ bald auch auf Tournee. Sie tingelten durch ganz Europa. Dort konnte das weiße Publikum mit wohligem Schauder die "Wilden" bestaunen. 
Als im Jahr 1885 in Münster so genannte „Australneger“, also australische Ureinwohner, die Aborigines im Zoo zu sehen waren, schrieb die Presse abfällig über diese Menschen „auf der tiefsten Stufe der Cultur“. Auch in einer Notiz in der Stadtchronik wird über „Buschmänner und Neger“ hergezogen, die „an Hässlichkeit miteinander wetteifern“ und die „zur Auswanderungslust ins Land der Colonien niemand reizen werden.“


Diese Menschenschauen waren besonders beliebt im Größenwahn des europäischen Kolonialismus vor dem Ersten Weltkrieg, eine Epoche, in der Kaiser Wilhelm II. für Deutschland einen "Platz an der Sonne" forderte. Die meisten Zeitgenossen empfanden die Ausstellung von exotischen Menschen neben exotischen Tieren nicht als menschenverachtend - schließlich wurde ihnen ständig die Überlegenheit des "weißen Mannes" eingebläut.


Ein Renner im Münsterschen Zoo war die „Sudanesen-Karawane“. Ein Stadtchronist beschrieb die „interessante Gesellschaft von 16 Sudanesen, die sich mit ihren fünf Kamelen dort herumtummeln“ als eine „malerische, etwas widerwärtige Truppe, mit dickem künstlich frisierten Wollkopf und glänzender hellbrauner Hautfarbe.“
Wegen des riesigen Erfolges der „Sudanesen-Karawane“ versprach die Direktion des Zoologischen Gartens in Münster: Wir sind bemüht, unserem verehrten Publikum hintereinander alle Stämme Afrikas vorzuführen.“ Die "Völkerschauen" befriedigten aber nicht nur sensationslüsterne Massen. Bald schon machte sich die Rassenforschung über die "Exoten" her. Einer der führenden Vertreter war dabei der Mediziner und Naturwissenschaftler Rudolf Virchow , dem Hagenbeck immer wieder seine „Wilden“ für Forschungszwecke überließ.
 Die „Fremden“ mussten Stammestänze, Kriegsgesänge und Kampfszenen vorführen: Die „Eskimos“ zeigten, wie man sich im Kanu unter Wasser umdreht, die „Lappen“, wie man ein Rentier fängt und die „Australneger“, wie man einen Boomerang wirft.


Hagenbeck betonte stets, dass es ihm nicht um die Show gehe, sondern, seinen Zuschauern das tägliche Leben der fremden Völker nahe zu bringen.
Dass die Menschenwürde dabei auf der Strecke blieb, ist klar. Deshalb gab es auch damals schon einige kritische Gegner dieser erniedrigenden Vorführungen. Eine Studie von 2011 stellt außerdem fest, dass die "Menschenzoos" massiv zur Herausbildung rassistischer Ressentiments führten.


Als 1894 eine „Suaheli-Karawane“ angekündigt wurde, erwarteten die Münsteraner „hochgewachsene kraftstrotzende Gestalten von lederbrauner glänzender Hautfarbe, lebhaft, intelligent und gutmüthig“. Die „dunklen Gestalten“ waren ein Publikumsmagnet und zogen mehr als 2000 Besucher täglich an. Zoodirektor Hermann Landois versprach in einer Anzeige, dass am Ende der achttägigen Suaheli-Schau ein „großes afrikanisches Hammelfest“ veranstaltet werde. Der Eintritt betrug 30 Pfennig für Erwachsene und zehn Pfennig für Kinder. Als besonderes I-Tüpfelchen versprach Landois, dass die Suaheli während der Show das Lied „In Kamerun ist Holzaktion“ vortragen würden, dass sie angeblich während ihres Aufenthaltes im Zoo gelernt hätten. Bis heute ist nicht geklärt, ob es sich dabei um einen von Landois´ berühmt-berüchtigten Gags handelte, oder ob er tatsächlich die Suaheli dazu gebracht hat, das umgetextete Volkslied zu singen. Jedenfalls rannten fast 8500 Besucher neugierig in die Vorstellungen und ließen dort die Kasse klingeln. Landois bemerkte dazu etwas selbstkritisch: „Es ist ein trauriges Zeichen unserer Zeit, dass die Wissenschaft durch derartige Marktausstellungen ihre materielle Grundlage erhalten muss.“


Eine der erfolgreichsten Völkerschauen im münsterschen Zoo war die „Samoa-Karawane“ im Jahr 1896. Besonders die Samoanerinnen mit ihrem „frohen Sinn und einem Charakter, der sich Gegenliebe leicht erringt“ wurden „von Liebesanträgen junger Männer überhäuft“.


Aber auch um die weiblichen Zuschauer machte man sich Sorgen, da sie angesichts der Präsentation afrikanischer Männer häufig von einer „Nubiertollheit“ befallen wurden
Ob angegafft, bewundert oder verachtet, für die „exotischen Wilden“ waren die Völkerschauen nicht spaßig. Meistens wurden sie mit falschen Versprechungen nach Europa gelockt und dann wie Sklaven gehalten und vorgeführt. Viele starben an Schwindsucht, Masern, Lungenentzündung oder Pocken, weil sie nicht geimpft worden waren.


In den wenigen Aufzeichnungen der ausgestellten Menschen beschreiben sie vor allem ihr Heimweh, Probleme mit Großstadtgeräuschen, der feuchten Kälte und dem Ekel vor dem fremden Essen.


Erst als das Kino realistischere Einblicke in ferne Länder ermöglichte, erlahmte das Interesse an leibhaftigen Fremden.


In Münster war 1926 Schluss mit den menschenverachtenden Völkerschauen.