Sommer 2015

Erweiterung Juli 2020

Liebe Leserinnen und Leser,

im Jahr 1941 hielt der münstersche Bischof und spätere Kardinal Clemens August Graf von Galen seine drei berühmten Predigten.

 

Die Predigten fanden durch maschinenschriftliche Kopien und britische Flugblätter eine große Verbreitung in Deutschland. Beide Dokumente der Predigt über das ,Widerstehen' werden in dieser Bildgeschichte vorgestellt.

 

Ihr Henning Stoffers

 

PS

,Der Bischof soll hängen!', hieß es im Propagandaministerium, nachdem Bischof Clemens August Graf Galen seine drei berühmten Predigten gehalten hatte. Den Predigtbeitrag von 2015 habe ich nun ergänzt. Ein internes Dokument von August 1941 macht deutlich, wie in den inneren Machtzirkeln gedacht wurde.


Teil I - Die Predigt über das Widerstehen

1930 - Graf von Galen als Pfarrer von Lamberti
1930 - Graf von Galen als Pfarrer von Lamberti

Am 20.7.1941 hielt Bischof Graf von Galen in der Überwasserkirche (Liebfrauenkirche) eine seiner Brandpredigten. Die beiden anderen Predigten wurden in der Lambertikirche gehalten.

 

In dieser Predigt über das Widerstehen bringt er den bildhaften Vergleich von Amboss und Hammer:

Wir sind Amboss und nicht Hammer! Aber seht einmal zu in der Schmiede! Fragt den Schmiedemeister und laßt es euch von ihm sagen: Was auf dem Amboss geschmiedet wird, erhält seine Form nicht nur vom Hammer, sondern auch vom Amboss. Der Amboß kann nicht und braucht nicht zurückzuschlagen; er muß nur fest, nur hart sein. Wenn er hinreichend zäh, fest, hart ist, dann hält meistens der Amboss länger als der Hammer...

...Wir sind zurzeit Amboss und nicht Ham­mer! Bleibt stark und fest und unerschütter­lich wie der Amboss bei allen Schlägen, die auf uns niedersausen! In treuestem Dienst für Volk und Vaterland, aber auch stets bereit, in äußerstem Opfermut nach dem Wort zu handeln: ,Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!'...

 

Sehr fein formuliert ist auch der Schluss der Predigt:

Lasset uns beten... für (unser*) Volk und Vaterland und für seinen Führer. Amen.

Dass er nicht von ,unserem Führer' spricht, zeigt seine Distanz zu Hitler.

 

*nur in der britischen Version enthalten

Die maschinenschriftliche Kopie

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Verbreitung der Predigten - Verfhaftungen und Hinrichtungen

Das Halten der Predigten und deren Verbreitung waren gefährlich, lebensgefährlich. Es gab mehrere Verhaftungen, Verschleppungen in Konzentrationslager und Hinrichtungen.

 

Wie bedrohlich die damalige Situation war, zeigt sich am Beispiel des evangelischen Pastors Stellbrink:

Stellbrink war Anhänger der Bekennenden Kirche in Lübeck. Er wurde von den Nazis hingerichtet. Besonders perfide und zynisch war, dass seine Frau die Rechnung für die Hinrichtung  von der Nazi-Verwaltung per Post zugestellt bekam und bezahlen musste.

 

Der Bischof rechnete selbst mit seiner Verhaftung, und wies seinen Kaplan für diesen Falle an, ihm Wäsche ins Gefängnis zu bringen. Clemens August von Galen wurde nicht verhaftet. Hitler war außer sich und drohte, nach dem Endsieg es ihm ,auf Heller und Pfennig' heimzuzahlen.

 

Das Vervielfältigen der Predigten durch ein Druckverfahren war in der damaligen Situation nicht möglich, und so wurden die Predigten heimlich mit der Schreibmaschine abgeschrieben. Auf dünnem Papier schaffte man jeweils 8 bis 10 Kopien. Die Kopien verbreiteten sich zunächst innerhalb katholischer Kleingruppen und im weiteren Verlauf in ganz Deutschland.  So gelangten sie an eine breite Öffentlichkeit.

 

Die Briten erkannten die Brisanz der Texte und druckten die Predigten. Aus Flugzeugen wurden sie als Flugblätter in großen Mengen abgeworfen.

Britisches Flugblatt

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Teil II - Der Bischof soll hängen

Vermerke des Abteilungsleiters Propaganda Walter Tießler

Vor einigen Tagen erhielt ich von Dr. Thomas Lipski das nachstehende Dokument. Das Thema: Wie ist regierungsseitig mit dem unliebsamen Bischof Clemens August Graf Galen umzugehen?

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Über die Überlegungen der Nazis, ...

Skrupellos und zynisch, fern jeglicher ordentlicher Gerichtsbarkeit, überlegten höchste Regierungsstellen, wie der Bischof von Münster beseitigt werden kann.

...den Bischof aufzuhängen

In diesem Abschnitt  erklärt Tießler, warum für den Bischof die Todesstrafe durch Erhängen die einzig richtige Maßnahme sei: Die Lügen Galens würden das nationalsozialistische Deutschland beleidigen und schädigen.

 

Pro forma hätte es für die Öffentlichkeit einen der üblichen Schauprozesse der Unrechtsjustiz zur Feststellung der Todesstrafe gegeben. - Typisch für den Faschismus:  Andersdenkende werden ausgegrenzt, verfolgt und beseitigt.

Thießler versuchte Goebbels zu überzeugen. Der hatte aber Bedenken, die Münsteraner und auch die Westfalen würden trotz aller Propaganda nicht dahinter stehen. Letztlich müsse Hitler persönlich darüber entscheiden. Parallel dazu war auch Bormann in den Entscheidungsprozess einbezogen.

Tießler vertrat beharrlich weiter seinen Standpunkt. Sollte Hitler die ,Abrechnung' jedoch erst auf die Zeit nach dem Krieg  verschieben, möge Goebbels weiter das Ziel verfolgen.

Zum Schluss wird in der Niederschrift ein Kompetenzgerangel festgehalten. Folgendes war der Grund: Über einen Adjutanten - nicht über Bormann - war eine Anfrage direkt an Hitler gegangen. Es ging um die Frage, ob die Tarnung der Euthanasie gelockert werden könne.

 

Bormann beschwerte sich, weil er nicht in den Vorgang eingebunden worden sei. Nur über ihn, Bormann, müssen derartige Dinge laufen, nur er allein darf Hitler direkt vortragen. - Es ging um Einfluss und Macht.

 

Tießler enschuldigte sich. Es sei der Abteilung ,Propaganda' ein Fehler unterlaufen.

Über Walter Tießler

Als ,Scharfmacher' tat sich Walter Thießler (1903-1984) besonders hervor. Er fungierte als Verbindungsmann zwischen Goebbels und Bormann und war 1941 Abteilungsleiter im Propagandaministerium.

 

Tießler strebte nach höheren Aufgaben, die sich nicht erfüllten. Er propagierte auch die Todesstrafe für ,deutschblütige' Frauen, die sich mit ,fremdvölkischen' Männern einließen.

 

Nach dem Krieg wurde Thießler als ,Minderbelasteter' eingestuft. Eine vorherige Verurteilung zu einer Arbeitslagerstrafe, Verlust von Rentenansprüchen etc. wurde aufgehoben!

 

Über sein Leben nach dem Krieg ist bis auf Interview mit dem amerikanischen Historiker Jay W. Baird von 1973 nichts bekannt.


Folgende Zuschriften erreichten mich:

... Ich bin Urmünsteranerin, im Kuhviertel aufgewachsen, im alten "Gesindehaus" zum Schlaun'schen Hof von 1752, welches mein Großvater 1921 käuflich erwarb und das heute noch steht. 1979 habe ich es verkauft, da es meinen Mann aus beruflichen Gründen ins Emsland zog.


Die Galen-Predigt in der Überwasserkirche besitze ich auch als Schreibmaschinendurchschlag. Meine Mutter erzählte mir, dass Nonnen nächtelang daran gesessen hätten, um diese Predigt tippend zu vervielfältigen, um sie dann in der Überwasserkirche heimlich zu verteilen.


Da meine Mutter auch während dieser Predigt in unserer Pfarrkirche anwesend war, konnte sie ein Exemplar gut versteckt mit nach Hause nehmen. Die Gestapo war wie immer mit anwesend, daher sei es nicht ungefährlich für diejenigen gewesen, dieses Exemplar mitzunehmen.

Herzliche Grüße aus dem Emsland
M. Th. S...


Ein Leser schreibt:

...Ich kenne die Briefe und war bewegt und erschüttert zugleich, in welcher Offenheit der Mann geschrieben hat.

Die ersten, die aus seiner nächsten Umgebung eingesperrt wurden, waren eine Nonne und sein Domprobst Clemens Echelmeyer. Danach soll er angefangen haben, die mutigen Predigten zu halten.

Leider hat sich v. Galen nicht zu den Judenprogromen geäußert. Er kam schließlich aus einer sehr konservativen Ecke unseres politischen Spektrums. Ein Aberwitz ist es natürlich, dass ausgerechnet die RAF, die Deutschland in Schutt und Asche gelegt hat, seine Briefe abgeworfen hatte.

V. Galen und Boldelschwingh haben leider den II. Weltkrieg nicht lange überlebt. Sie hätten der Nachwelt mehr von den inneren Zwängen berichten können, unter denen sie gearbeitet hatten.


Quellen

Text und Idee: Henning Stoffers

Foto und Predigtkopien:

Sammlung Stoffers (Münsterländische Bank Thie - Stadtarchiv Münster)

Tießler-Dokument: Dr. Thomas Lipski

Tießler-Recherche:

https://www.deutsche-biographie.de/pnd142202266.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Tie%C3%9Fler