Liebe Leserin, lieber Leser,

hin und wieder haben Sie vielleicht auf dieser Webseite den Namen Wilfried ,Schrolli' Schroeder gelesen. Er hat für etliche Illustrationen gesorgt und den einen oder anderen Beitrag geschrieben. Wir kennen uns seit mehr als 60 Jahren. Lange Zeit habe ich Wilfried aus den Augen verloren, bis wir uns per Zufall wiedergetroffen haben.

 

Über sein Leben und wie Wilfried zur Malerei kam, wird in diesem Beitrag erzählt.

 

Ihr Henning Stoffers


Wilfried ,Schrolli' Schroeder - Die Kunst malen zu können...

Manche Menschen begleiten unser Leben viele Jahrzehnte - hin und wieder auch mit langen Unterbrechungen - so auch mein Freund Schrolli. Als 12-Jähriger habe ich ihn kennengelernt. Es werden vielleicht 2 Jahre gewesen sein, die wir als Schüler zusammen verbrachten. Ich erinnere mich besonders an die Sportstunden, in denen wir Ringen übten. Ich war voller Stolz, den einen Kopf größeren Wilfried hin und wieder auf die Matte niedergezwungen zu haben. Es war wie David gegen Goliath.

Wilfried + Ingrid
Wilfried + Ingrid

Die Wege trennten sich. - Um 2005, als ich über den Schlossplatz zum Büro radelte, fiel mir immer wieder ein angeregt sich unterhaltendes Fußgänger-Pärchen auf. Sie klein und zierlich, er hünenhaft groß im langen Mantel. Sein Gesicht weckte in mir schwache Erinnerungen...  Wilfried?

 

Ja, er war's mit seiner Frau Ingrid. Sie waren unterwegs zur Arbeit, er zur Chirurgischen Klinik, sie zum Institut für Anatomie.

 

Nach einem halben Jahrhundert führten die Wege wieder zueinander... Es war so, als wären wir nie getrennt gewesen. Die alte Vertrautheit bestand sofort wieder.

Einige Monate vor und nach Wilfrieds Geburt

Wilfried Schroeders Großeltern Heinrich und Maria Heckmann wohnen mit ihren Kindern Wolfgang und Brunhilde seit vielen Jahren in der Rudolf-von-Langen-Straße 23.

Ein zerstörtes Haus in der Rudolf-von-Langen-Straße
Ein zerstörtes Haus in der Rudolf-von-Langen-Straße

Ihr Haus wird im Jahre 1941 bei einem Fliegerangriff schwer beschädigt. Nach Beseitigung der Schäden kann die Familie ihre Wohnung wieder beziehen, aber nur für kurze Zeit. Am 12.9.1944 zerstören erneut Fliegerbomben das Haus. Auch die daraufhin bezogene Notwohnung in der gleichen Straße fällt Bomben zum Opfer.

Die Familie zieht nach Ibbenbüren, um Schutz vor den Fliegerangriffen zu finden. Aber auch hier fallen Bomben, und kurz vor Ostern 1945 finden zudem heftige Bodenkämpfe statt. Die Familie verliert erneut - zum vierten Male - ihr Zuhause.

 

Brunhildes Ehemann, der Zahnarzt Dr. Wilfried Schroeder aus Dortmund, dient als Soldat an der Front und gerät zum Kriegsende in russische Gefangenschaft. Seine Frau Brunhilde - Mutter des 11 Monate alten Sohnes Wolf-Dieter - ist mit dem 2. Kind Wilfried hochschwanger.

Kindheit in Ibbenbüren

Dr. Wilfried Schroeder
Dr. Wilfried Schroeder
Brunhilde Schroeder
Brunhilde Schroeder

Mutter Brunhilde mit Wilfried
Mutter Brunhilde mit Wilfried

In diese Zeit größter existenzieller Not wird der kleine Wilfried am 23.10.1944 hineingeboren.

 

Die Mutter hat keine Milch zum Stillen. Aufopfernd kümmert sich die Großmutter Maria um das Menschlein. Mangels Milch wird Wilfried mit einem Haferbrei gefüttert. Der kleine Körper verträgt diese Speise nicht. Die Großmutter und eine freundliche Nachbarin besorgen Kuhmilch bei einem Bauern, die der Kleine mit Heißhunger aufnimmt.

 

Wenn Wilfried von seiner erlebnisreichen Kindheit erzählt - plastisch und detailreich - reiht sich eine Geschichte an die andere. Mit seinem Freund Bübi steckt er Pappkartons in Brand. Mit der Hand werden aus dem Mühlenteich Stichlinge und Frösche gefischt, und manch eine Maus wird gefangen.

Heimkehr des Vaters

Wolf-Dieter und Wilfried in Ibbenbüren
Wolf-Dieter und Wilfried in Ibbenbüren

Am Neujahrstag 1950 steht ein fremder Mann in Wehrmachtsuniform vor den Kinderbetten. Die Mutter sagt: ,Das ist euer Vater!' Vater Wilfried war gerade aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden. So sieht der kleine Wilfried erstmals seinen Vater.

 

Im Dezember 1951 besucht die Familie eine Kaffeewirtschaft. Es ist ein fröhlicher Nachmittag bei Kaffee und Kuchen. Großmutter Maria, die unter Herzproblemen leidet, bleibt beim Nachhauseweg etwas zurück und sagt: ,Geht ihr vor, ich komme langsam nach.' Als Wilfried sich umschaut, sieht er seine Großmutter in einer Blutlache auf dem Boden liegen. Sie ist tot. Ein Herzschlag hat sie so plötzlich getroffen, dass der Kopf hart auf das Pflaster aufschlägt. Blut fließt aus einer Kopfwunde. Marias Leiche kommt auf die hintere Sitzbank eines herbeigerufenen Taxis. Der Vater steigt hinzu und stützt den leblosen Körper in seinen Armen. Das Taxi fährt davon...  Der Großvater sagt auf dem Heimweg mit den Kindern immer wieder: ,Arme Maria, arme Maria.'

Zurück nach Münster

Von links: Wolf-Dieter, Opa Heinrich, Mutter Brunhilde, Onkel Wolfgang und Wilfried mit einer Waldbeere in der Hand
Von links: Wolf-Dieter, Opa Heinrich, Mutter Brunhilde, Onkel Wolfgang und Wilfried mit einer Waldbeere in der Hand

Eltern und Großvater beschließen, wieder in ihre geliebte Heimatstadt Münster zu ziehen. Mit dem Umzugswagen der Firma August Hendker kehrt die Familie im September 1952 zurück nach Münster und bezieht eine Wohnung in der Marientalstraße 36.

Schuljahre

Wilfried besucht die Uppenbergschule - die neue Kreuzschule ist noch nicht fertig. Es ist die Zeit des Schichtunterrichtes; vormittags oder nachmittags wird unterrichtet. Und da Großvater Heinrich Pauliner war, wird beschlossen, dass Wilfried 1956 ebenfalls dieses humanistische Gymnasium besucht. Als dann in der Untertertia Altgriechisch gelehrt wird, wechselt Wilfried  zur Josef-Freiherr-von-Eichendorff-Realschule.

Wilfried als Wimpelträger  der Wikinger bei den Jungschärlern
Wilfried als Wimpelträger der Wikinger bei den Jungschärlern

Wilfried erzählt ohne Bitternis von den strengen Erziehungsmethoden im Elternhaus und in der Schule. Heute ist Wilfried mit seinem Vater im Reinen, denn er weiß, wie schwer die Jahre für ihn im Krieg waren.

Reisejahre

Grafik Klimawandel
Grafik Klimawandel

Reisen in den 1960er Jahren ist für einen 18, 19-Jährigen nicht selbstverständlich, zumal insbesondere das Geld fehlt. So verlegt sich Wilfried aufs Trampen. Mit Freunden geht es durch Dänemark nach Norwegen und ein andermal nach Irland und nach Schottland. Die irischen Balladen-, Rebellen- und Trinklieder sind Wilfried nie aus dem Kopf gegangen. Noch heute singt er sie - begleitet von alten Schallplatten - in seinem Arbeitszimmer.

 

Auf einer Heimreise besucht Wilfried das Kröller-Müller Museum in Otterlo (NL). Dort sind viele Bilder von van Gogh ausgestellt. Ehrfurchtsvoll - Wächter sind weit und breit nicht zu sehen - berührt er mit seinen Fingerspitzen den pastösen Farbauftrag seines Lieblingsmalers. Es ist für ihn ein besonderes Erlebnis, dem Werk des Malers so nahe zu sein.

Lehr- und Studienjahre

rechts Rudolf Kiene ✝
rechts Rudolf Kiene ✝

Als Quartaner verleiht ihm sein Klassenkamerad Rudolf Kiene den Spitznamen ,Schrolli', den er nun seit mehr als 60 Jahren trägt.

 

In der Freizeit geht es oft nach Gimbte, um den Bauern auf dem Felde oder bei der Ernte zu helfen. Als Lohn wird eine Mark pro Stunde bezahlt. Aber nichts dagegen ist das leckere Essen, das beim Bauern auf den Tisch kommt. Später arbeitet er in den Schulferien im Hoch- und Tiefbau.

 

Nach dem Einjährigen macht Wilfried eine Lehre als Schaufenstergestalter. Nach der Prüfung arbeitet er in verschiedenen Jobs, die ihm aber nicht die nötige Befriedigung geben. Auch bietet sich keine berufliche Perspektive. Wilfried befindet sich in einer Sackgasse, aus der er herausfinden will und muss.

Wilfried mit Michael Diekamp (rechts) in der Deko bei Horten
Wilfried mit Michael Diekamp (rechts) in der Deko bei Horten
Grafik Peace
Grafik Peace

Sein zeichnerisches Talent ist bereits in jungen Jahren ausgeprägt. Mutter

Brunhilde empfiehlt ihrem Sohn, die münstersche Werkkunstschule (später Fachhochschule, heute MSD/Münster School of Design - FH Münster) zu besuchen. Ein guter Rat, wie sich zeigen wird. Wilfried besteht die Aufnahmeprüfung, und eine neue Welt tut sich ihm auf.

 

Von 1969 bis 1973 studiert Wilfried im Fachbereich Design. 1973 macht er sein Diplom als Grafik-Designer. Es ist eine schöne Zeit mit besten Lehrern und Kommilitonen.

 

Wilfried hat seinen Weg gefunden...

Grafik Artenschutz
Grafik Artenschutz
Auf zum Markt nach Novgorod nach einer Erzählung von Iwan Turgenew
Auf zum Markt nach Novgorod nach einer Erzählung von Iwan Turgenew

Giebelhäuser
Giebelhäuser

Arbeitsjahre

Bildnis Prof. Bünte 1988
Bildnis Prof. Bünte 1988

Wilfried lernt bei Freunden Ingrid kennen. Sie heiraten 1976.

 

In den Jahren 1973 bis 1982 arbeitet er in einer Werbeabteilung einer Pharmazeutischen Firma in Borken, später bei einer Werbeagentur in Münster. Es folgt eine Zeit der beruflichen Selbständigkeit.

 

Es ist das Jahr 1982. Zufällig sieht Wilfried in der Zeitung eine Stellenanzeige. Gesucht wird ein medizinisch-wissenschaftlicher Illustrator an der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie. Er stellt sich vor und wird sofort genommen.

 

Wilfried arbeitet zunächst bei Prof. Dr. Hermann Bünte und später bei Prof. Dr. Dr. hc. Norbert Senninger und geht 2009 in den Ruhestand.

 

Mehr über sein Wirken: Wilfried ,Schrolli' Schroeder - Maler und Grafiker

Ausstellungseröffnung mit Prof. Bünte
Ausstellungseröffnung mit Prof. Bünte
Westfälischer Frieden 1648
Westfälischer Frieden 1648

Fragen + Antworten

Warum hast Du mit der Malerei in den 1990er Jahren erst richtig angefangen?

Ich musste arbeiten und hatte keine Zeit, mich damit zu beschäftigen.

 

Wie malst Du Portraits und was ist dabei wichtig?

Ich fotografiere die Person aus verschiedenen Perspektiven. Dann setze ich mich zuhause hin und überlege, wie das Bild am besten in Szene gesetzt werden kann. Wichtig ist dabei, dass die Gesichtsprägung erfasst und auf die Leinwand übertragen wird. Mein erstes Portrait zeigt Professor Bünte, der sofort einverstanden war, sich malen zu lassen.

 

Du warst einmal sehr krank. Wie hast Du die Krankheit überwunden?

Ja, das Herz wollte nicht mehr so richtig mitmachen. Aber die Doktores haben das in den Griff bekommen, wofür ich sehr dankbar bin. Das Rauchen habe ich Gott sei Dank bereits Mitte der 90er Jahre aufgegeben. Schlagartig. Die Glut meiner letzten Zigarette habe ich unter dem Wasserhahn gelöscht. So wie die Zigarette in den Mülleimer landete, so war das Rauchen aus meinem Kopf.

Grafik Meeresschildkröte
Grafik Meeresschildkröte

Was hättest Du in Deinem Leben anders machen sollen?

Das ist eine Frage, die ich kaum beantworten kann. Vielleicht hätte ich öfters nein sagen sollen, aber das Rad der Zeit lässt sich - vielleicht auch Gott sei Dank - nicht zurückdrehen.

 

Was bedeutet Münster für Dich?

Ich wurde zwar nicht in Münster geboren, aber Münster ist meine Heimat, mit der ich zutiefst verbunden bin.

 

Hast Du besondere Anliegen?

Ja, der Umweltschutz. Es ist ein Thema, das mich besonders berührt und mich wütend macht. Die Menschen mögen endlich aufhören, diesen schönen Planeten zu zerstören und bedrohte Tierarten auszurotten. Manchmal glaube ich fast, dass der Mensch eine Fehlkonstruktion der Evolution ist.

 

Hast Du einen besonderen Wunsch?

Ganz persönlich: Ich möchte noch viele Tage mit meiner lieben Ingrid über diese schöne Erde laufen. Ein anderer großer Wunsch: Möge die schlimme Zeit von 1933 bis 1945 nicht vergessen werden und die Erinnerung daran unser Handeln mitbestimmen.

Über die Großeltern Heinrich + Maria Heckmann

Heinrich und Maria Heckmann haben die Familie ihrer Tochter Brunhilde in den Kriegs- und Nachkriegsjahren aufopfernd unterstützt. Dies war notwendig, zumal der Schwiegersohn lange Jahre als Frontsoldat und Kriegsgefangener fern von Frau und Kindern war.

 

Heinrich Heckmann war zur Amtszeit von Oberbürgermeister (1920-1932) Dr. Georg Sperlich mitverantwortlich für den Bau der Annette-von-Droste-Hülshoff Jugendherberge bei Nottuln. Mit 70 Jahren ging er Ende 1945 als Direktor der Stadthauptkasse in den Ruhestand.

 

Die Hauptkasse hatte ihren Sitz in dem alten Sandsteingebäude an der Ludgeristraße-Ecke Clemensstraße. Heute steht dort das Kaufhaus Galeria Kaufhof - vormals Horten.

Ein Schlusswort von Henning Stoffers

Wilfried ist ein in sich ruhender Mensch, der die Stürme des Lebens - insbesondere jene seiner Kindheit - überstanden hat. Er erlebte als Kind hautnah den Tod der Großmutter und die Demütigungen von Lehrern und vom Vater. Dennoch hinterlässt Wilfried den Eindruck von - vielleicht scheinbarer - Unversehrtheit.

 

Trotz aller Widrigkeiten konnte er seinen Weg erfolgreich gehen. Glückliche Fügungen und seine künstlerische Begabung haben dazu geführt. Davon zeugen seine Bilder.

 

Voller Humor und Fröhlichkeit sind seine Dönekes, die er am laufenden Band erzählt, dass er kaum zu stoppen ist. Im Tiefsten seines Herzens aber ist Wilfried ein durchaus ernster Mensch.


Quellen

Text und Idee: Henning Stoffers

Fotos: Wilfried ,Schrolli' Schroeder