Liebe Leserin, lieber Leser,

Freizeit ist bis in die 1960er Jahre hinein ein knappes Gut. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist ein verbriefter Anspruch auf Urlaub noch unbekannt. Erstmals werden 1903 für die Brauereiarbeiter 3 Tage Jahresurlaub vereinbart. Gearbeitet wird von Montag bis Samstag. 60 Stunden und mehr sind normal. Dies hat sich in der Zwischenzeit grundlegend geändert.

 

Zum Thema ,Freizeit' finden Sie in meinen anderen Beiträgen die eine oder andere Information. In diesem Aufsatz habe ich einiges zusammengeführt, überarbeitet, ergänzt und neugeschrieben.

 

Ihr Henning Stoffers


Freizeit im Wandel der Zeit

Plümpsen, pölen und 'nen toften Lenz hegen

11-köpfige Familie aus der Buddenstraße
11-köpfige Familie aus der Buddenstraße

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist Deutschland eine Monarchie. Kaiser Wilhelm II. regiert als Staatsoberhaupt. Unbekannt sind Fernsehen, Radio, Kino und Mobiltelefon. Autos und Telefone sind noch eine Rarität. Die unzähligen Fahrräder, die heute das Stadtbild prägen, sind auf alten Fotos nur vereinzelt zu sehen.

 

Der häufigste Beruf einer Frau ist der einer Hausfrau oder eines Dienstmädchens - die Arbeitswelt ist männlich geprägt. Familien mit fünf und mehr Kindern sind eher die Regel als die Ausnahme.

Sonntägliches Kaffeetrinken an der Werse - Boniburg
Sonntägliches Kaffeetrinken an der Werse - Boniburg

Was machten die Menschen vor mehr als 100 Jahren in ihrer Freizeit?

Es gab in jener Zeit erstaunlich viele Vereine unterschiedlichster Art und natürlich eine Großzahl an Gaststätten, Restaurants sowie Ausflugslokalen am Rande der Stadt. Aber knapp ist das Geld für freizeitliche Vergnügungen.

Zwei-Löwen-Club
Zwei-Löwen-Club

Für ein Feierabend-Bier findet die Bürgerschaft in fast jeder Straße eine Schenkwirtschaft, oft sind es auch gleich mehrere. Statistisch kommt Ende des 19. Jahrhunderts auf etwa 150 Münsteraner (vom Säugling bis zum Greis) jeweils eine Schenkwirtschaft. Nach heutigen Verhältnissen ist dies eine enorme  Kneipendichte.

 

Die Studenten haben ihre Verbindungshäuser, und die vornehme Gesellschaft verkehrt in traditionellen Klubs, zum Beispiel dem Civilclub von 1775 oder dem Zwei-Löwen-Klub von 1796. Die adeligen Kreise haben ebenfalls ihre gesellschaftlichen Einrichtungen.

Weniger Arbeit - mehr Freizeit

Musical - Grafik: Antje Vogel
Musical - Grafik: Antje Vogel

Die Zeiten ändern sich. Die elektrische Beleuchtung, die Wasser- und Abwasserleitungen kommen in die Häuser. Telefon, Kinos, Autos, Radio und Fernsehen halten im Laufe der Jahrzehnte Einzug. Die 5-Tage Woche wird eingeführt, und die wöchentliche Arbeitszeit reduziert sich immer weiter. Ein vier - bis sechswöchiger Jahresurlaub wird die Regel.

 

All dies hat Auswirkungen: das Freizeitverhalten der Menschen ändert sich. Es geht mehr hin zu Geselligkeit, kulturellem Erleben und sportlicher Betätigung. Das Reisen wird breiten Bevölkerungsschichten möglich und selbstverständlich. - Es prägt sich der Begriff von der ,Freizeitgesellschaft'.

Rudern, Wandern, Badeanstalten

Ruderverein von 1882 - Bootshaus am Kanal,erbaut 1923-1924
Ruderverein von 1882 - Bootshaus am Kanal,erbaut 1923-1924

Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts gründen sich die ersten Sportvereine, zum Beispiel die Turngemeinde von 1862, der Ruderverein von 1882 und die Fußballvereine (u.a. Preußen Münster und SC Münster 08), die heute noch existieren. Und auch die erste Badeanstalt entsteht im Jahre 1832. Gebadet wird aber bereits schon davor. Die Behörden haben jedoch immer ein  strenges Auge darauf, um die Unsittlichkeit des Nacktbadens zu unterbinden.

Stadtbad am Aasee (Torminbrücke) 30er Jahre
Stadtbad am Aasee (Torminbrücke) 30er Jahre

1891 ist es soweit - die Schwimmvereinigung Münster wird gegründet, zwei Jahre später folgt die Einweihung des Werseschwimmbades, …aber nur für Männer. Die Damenabteilung kommt erst 1920 hinzu. Das Familienbad - also gemeinsames Baden für Männer, Frauen und Kinder - ist  gar nicht selbstverständlich. Man sorgt sich um  die Sittlichkeit, die Schaden nehmen könne. Trotz einiger Proteste wird das gemeinsame Baden zugelassen.

 

Es gibt auch Baderegelungen, in denen das Waschen/Abduschen vor Betreten der Schwimmhalle vorgeschrieben ist. Oft sind nämlich die häuslichen sanitären Einrichtungen ungenügend, so dass zur Körperreinigung gern die öffentliche Badeanstalt aufgesucht wird.

Wersebad an der Wolbecker Straße 1941
Wersebad an der Wolbecker Straße 1941
Bötchenfahren auf der Werse um 1940
Bötchenfahren auf der Werse um 1940
Schlittschuhlaufen 1931 auf dem Aasee
Schlittschuhlaufen 1931 auf dem Aasee

Lehrerkollegium - Fahrradausflug nach Herbern um 1940
Lehrerkollegium - Fahrradausflug nach Herbern um 1940

Es bilden sich Wandervereine, die hauptsächlich die nähere Umgebung erwandern, aber auch fernere Ziele erkunden. Bei dem Verein ,Überall ist Geselligkeit' läuft es wie folgt ab:

Einmal im Jahr - während der großen Ferien - findet eine einwöchige Wanderung statt. Mit Proviant im Rucksack geht es mit dem D-Zug ins Sauerland oder in ein anderes, vorher sorgfältig ausgesuchtes Gebiet. Über jede Wanderung wird von wechselnden Protokollanten akribisch Buch geführt: wo man übernachtet, wie das Frühstück schmeckt, was die Fahrkarte kostet, wie die Wanderroute ist und welche Ereignisse zu verzeichnen sind. Es fehlen nicht einmal die Abfahrt- und Ankunftszeiten der Züge.

Wanderung zum Burgturm in Davensberg
Wanderung zum Burgturm in Davensberg

Gesangs-, Schützen-, Krieger- und Karnevalsvereine

Heute kann man sich kaum die große Zahl der Gesangsvereine vorstellen, die sich in unserer Stadt mit damals weniger als 100.000 Einwohnern gegründet hatten. Als der Kaiser 1907 Münster besucht, ergehen an die Bevölkerung Appelle, sich über ihre Vereine (Schützen-, Krieger-, Turn-, Gesangs- und Wohltätigkeitsvereine, studentische Verbindungen, Handwerkerschaft etc.) an dem Ereignis zu beteiligen.

Turn-Abteilung Kath. Gesellen-Verein Münster
Turn-Abteilung Kath. Gesellen-Verein Münster

Allein für die Proben zur ,Kaiser-Serenade' sind alle 50 Gesangsvereine dabei. Geprobt wird in fünf Gruppen. Für das ,Kaisersingen' ist extra eine Kommission gegründet worden, die generalstabsmäßig bis ins Kleinste plant. Gleiches geschieht für die Turnvereine unter der Leitung des Turnlehrers Becker von der Universität Münster.

Die vielen Vereine nehmen in den Adressbüchern etliche Seiten ein.


Es sind Schützen-, Wohltätigskeits-, Krieger-, und Karnevalsvereine. Daneben gibt es Vereinigungen der Kaufleute, der Stenografen, der Anwälte usw. Sogar der Verein ,Internationaler Frühschoppen Münster' ist im Einwohnerbuch von 1899 zu finden. Vereinszweck ist die Gesellig- und Wohltätigkeit.

Rund ums Bier

1895 versuchen die Behörden, die ,Polizeistunde' strikt durchzusetzen. Der Bierausschank ist traditionell bis tief in die Nacht möglich. Erst wenn der letzte Gast gegangen ist, werden die Türen geschlossen, und dies kann auch spät in der Nacht sein.

Zeitgenössige Postkarte anlässlich des Bierkrieges
Zeitgenössige Postkarte anlässlich des Bierkrieges

Die Verordnung sieht vor, dass alle Gaststätten um 23 Uhr schließen. Ziel ist es, den Alkoholkonsum einzudämmen. Die Gaststätten werden zudem als Ort der sittlichen Verrohung und der sozialistischen Bewegung verdächtigt. Dem solle mit der Verordnung entgegengewirkt werden.

 

Damit ist die Bevölkerung gar nicht einverstanden. Man sieht darin eine Beschneidung der persönlichen Freiheit. Nach erheblichen Protesten wird von der ursprünglichen Regelung Abstand genommen.

Dieses Geschehnis geht als ,Bierkrieg' in die Geschichte ein.

Neben einer Vielzahl von Gaststätten werden 1911 im münsterschen Einwohnerbuch immerhin sieben Abstinenzler-Vereine bei weniger als 100.000 Einwohnern vermerkt. - Heute ist es für uns erstaunlich, dass die damals gängigen Trinkgefäße ,Bullenkopp' und ,Bännetzken' sechs bzw. drei Liter Bier aufnahmen.


Dass solche überdimensionierten Bierkrüge den Alkoholkonsum förderten, dürfte naheliegend sein. Überhaupt spielten Schnaps, Bier und Wein im Alltag eine nicht unbedeutende Rolle, und so sind die relativ vielen Abstinenzler-Vereine für Alkoholkranke nicht verwunderlich.

Altbier und Frischbier

Meistens wurde Altbier getrunken, das einen höheren Alkoholanteil als das Frischbier hatte. Wer's nicht gut vertrug, begnügte sich mich dem Frischbier. Ein etwas süffisanter Spruch besagte: ,Frischbier ist für Frau und Kinder, Altbier trinkt nur der, der's kennt.'

Ein kurzer Blick auf die Jugendverbände

Mitte des 19. Jahrhunderts bilden sich die ersten Verbände der Jugendbewegung. Im konservativ-katholisch geprägten Münster sind es hauptsächlich der Kirche nahestehende Jugendvereinigungen.

 

Das Einwohnerbuch von 1911 verrät eine große Vielzahl von Jugendvereinen die zu den jeweiligen Pfarreien gehören.

 

Mit der Machtübernahme der Nazis tritt die Hitljungend (HJ) und der Bund Deutscher Mädel (BDM) in den Vordergrund. Das nachstehende Bild zeigt Schüler (wahrscheinlich der Geistschule) bei einem Fahnenappell während einer Freizeit im Weserbergland (?) mit ihrem Lehrer Enrst Wenzel.

Neben Ernst Wenzel nimmt eine Rotkreuz-Schwester am Appell teil. Der Großteil der Jungen trägt noch nicht die HJ-Kluft.
Neben Ernst Wenzel nimmt eine Rotkreuz-Schwester am Appell teil. Der Großteil der Jungen trägt noch nicht die HJ-Kluft.

Bilderschau - Vereinsleben 1899-1920

Die folgenden Bilder sind Momentaufnahmen, die das Leben und die Freizeitgestaltung jener Jahre eindrucksvoll zeigen. Unter anderem sind zu sehen:

  • Es gibt einen Bayern-Club in Münster. Das Motiv der Ansichtskarte verbindet die bayerische Lebensart mit Trachtenhut, Bier, Radi und Enzian.
  • Beim Ev. Frauenverein tanzen Frauen, Männer und Kinder um eine dampfende Suppenterrine.
  • Ein Jünglingsverein spielt ein Theaterstück ,Kreuz oder Halbmond'. Die Moslems werden finster mit Bart und Turban dargestellt.
  • Junge Herren der Hauscapelle des Clubs Gemütlichkeit schauen ernst in die Kamera.
  • Badende Freunde an der Werse bei Nobiskrug im Jahre 1919.

Die vorstehenden Abbildungen stellte Günther Jansen zur Verfügung. Herzlichen Dank.

Freizeit nach dem 2. Weltkrieg

Kino

Die ,Camera' von der Grevener Straße  gibt es seit vielen Jahren nicht mehr
Die ,Camera' von der Grevener Straße gibt es seit vielen Jahren nicht mehr
Gertrudenhof mit Kinoaufführung im Freien
Gertrudenhof mit Kinoaufführung im Freien

Münster hat bereits seit vielen Jahrzehnten ein Theater, als 1906 das erste Kino in der Ludgeristraße eröffnet wird, dem schnell weitere folgen. Das Theater und die Kinos werden im Krieg zerstört.

 

Das neue Theater und die wiederaufgebauten Kinos finden in der Nachkriegszeit ein großes Publikumsinteresse. Ausverkaufte Vorstellungen sind die Regel. Die Menschen sehnen sich nach Kultur und Entspannung. Es ist auch eine Flucht vor dem tristen Alltag, dem man für ein paar Stunden entkommen will. Das Filmprogramm trägt dem Rechnung, und viele Heimatfilme, Herz-Schmerz- und Billigproduktionen kommen auf die Leinwand. Und die Kinos werben mit dem Slogan: ,Mach' Dir ein paar schöne Stunden, geh' ins Kino.'

Preußen Münster

SC Preuußen Münster von 1906
SC Preuußen Münster von 1906

Preußen Münster spielt in der Oberliga und wird 1951 Vizemeister. Sogar der kurzzeitige Aufstieg in die neugeschaffene Bundesliga gelingt. Der Publikumsandrang ist enorm. Die Polizei muss den Verkehr auf der Hammer Straße mit etlichen Beamten besonders regeln.

 

Dem Fußballverein ist auch ein Schützenverein der ,alten Herren' angeschlossen. Bereits einige Jahre nach Kriegsende wird wieder ein Schützenfest gefeiert, und zwar in dem Ausflugslokal Güthmann an der Steinfurter Straße (nahe Wilkinghege). Die untenstehende Aufnahme zeigt den Schützenverein im Biergarten.

Schützenkönig Bernhard Zander  (Gastwirt Großer Kiepenkerl) -  Preußen Münster 1952
Schützenkönig Bernhard Zander (Gastwirt Großer Kiepenkerl) - Preußen Münster 1952

6-Tagerennen und Catchveranstaltungen

Beim 6-Tagerennen
Beim 6-Tagerennen

Ein richtiger Renner ist das 6-Tagerennen in der Halle Münsterland. Hier kann genüsslich und entspannt bei Musik und Germania Edel-Pils den schweißtreibenden Anstrengungen der Radsportler zugeschaut werden.

 

Nicht viel anders sind die Vorführungen, wenn die Catcher in die Halle Münsterland kommen. Zum Gaudi der Zuschauer fügen sie sich gegenseitig vermeintliche Grausamkeiten zu. Es sind gutgemachte Inszenierungen, ganz nach dem Publikumsgeschmack, wenn letztendlich der Gute gegen den Schurken siegt.

Die ersten Diskos

Steffi Stephan und Udo Lindenberg 1963
Steffi Stephan und Udo Lindenberg 1963

Die frühen 60er Jahren sind in Münster - wie überall - bieder, steif und konservativ. Die neuere Musik wird von den Älteren als ,Hottentottenmusik' abgetan. Aber den ersten Lichtstreif am Horizont für Veränderungen gibt es in Münster bereits: die Cavete. Die ersten Diskos öffnen in den frühen 1960er Jahren im kleinen Rahmen. Es ist eine neue Musikkultur, die von Älteren noch misstrauisch beäugt wird. Die jungen Udo Lindenberg und Steffi Stephan treten auf, es gibt Livemusik im Neuen Krug, dem Jovel, der Oase, im Insel und anderswo.

Buttercremejahre

Kaffeetrinken bei Vennemann  - Garten und Werse um 1960
Kaffeetrinken bei Vennemann - Garten und Werse um 1960

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Krieg beginnen die ,Buttercremejahre'. Viele Menschen legen nach den Jahren des Mangels und des unfreiwilligen Verzichts an Gewicht zu. Kalorierenreiche Gerichte und Speisen wie Eisbein und Buttercremetorten stehen hoch im Kurs. Sehr beliebt sind in diesen Jahren auch der ,Toast Hawaii' und der ,Mettigel', der neckisch mit Salzstangen bespickt wird.

 

Wie in der Vorkriegszeit geht es hinaus zu den Kaffeewirtschaften. Vennemann, Hugerlands Hof, Maikotten, Pröbsting, und wie sie alle heißen. Man wandert mit Kind und Kegel sonntags nach Handorf oder zu anderen Ausflugszielen, und lässt es sich gut gehen. Bötchenfahren auf der Werse gehört ebenfalls dazu.

Mitarbeiter der Germania-Brauerei beim Schützenfest  um 1960
Mitarbeiter der Germania-Brauerei beim Schützenfest um 1960

Tanzen

Tanzschule Dr. Oberbach
Tanzschule Dr. Oberbach

Tanzen ist besonders angesagt und beliebt. Kann doch auf diesem Wege der eine oder andere Kontakt geknüpft werden. Eugen Wichtrup, Charly Zimmermann, Stefan Bernàd, Dr. Oberbach, Werner Estinghausen und andere sind die Tanzlehrer der münsterschen Tanzschulen. Neben den gut besuchten Tanzkursen sind die Tanztees an den Wochenenden die absoluten Renner. Ungezählt sind die vielen Freundschaften und Partnerschaften, die hier ihren Ursprung nehmen.

Erinnerungen

Der Strand am Steiner See
Der Strand am Steiner See
Der Sprung vom Dreimeterturm
Der Sprung vom Dreimeterturm

Schwimmen im Steiner See

Mitte der 1950er Jahre ist der Steiner-See bei Hiltrup meine erste Badeadresse. Früher wurde hier Sand und Kies gebaggert, bis das Loch sich mit Wasser füllte. Daraus ist ein Freibad mit einem herrlichen Sandstrand entstanden. Von der Südstraße 100 geht es mit meinem Stricker-Fahrrad dorthin. Hier lerne ich das Schwimmen - ohne Anleitung - und lege voller Stolz die Prüfungen als Frei- und Fahrtenschwimmer ab. Eine der Mutproben ist der Sprung vom Dreimeterturm, aber nicht mit dem Kopf voran, ...das traue ich mir nicht. Ich mache die sogenannte ,Kerze', und zwar kerzengerade mit den Füßen zuerst ins Wasser.

Versuche - Mobiles Radio 1955

Was macht ein Elfjjähriger in seiner Freizeit, wenn er nicht zum Steiner See fährt oder seine Zeit mal nicht im Fähnlein des ND (Bund Neudeutschland) verbringt? Von meinem vergeblichen Versuch, Schwarzpulver herzustellen und anderen Aktivitäten, habe ich bereits an anderer Stelle berichtet, aber noch nicht von meinen elektrotechnischen Basteleien.

Ich hatte davon gelesen, wie ein Radio gebastelt werden kann, und zwar mit einer Germanium-Diode, einem Kopfhörer, aber ohne Batterie. Beim Radio-Händler Müller in der Windthorststraße fand ich für 2-3 Mark die erforderlichen Materialien, nämlich die Germanium-Diode und einen Ohrstöpsel. Letzterer war ein ausrangiertes Teil eines primitiven Hörgerätes aus der Vorkriegszeit.

 

Die beiden Kabelenden des Ohrstöpsels verband ich mit der Diode, steckte ihn ins Ohr und suchte mit einem Nadel-Pieks auf das Halbleiterplättchen einen Sender. Siehe da, ein Rundfunksender war klar und deutlich, aber auch ab und zu verrauscht, zu hören.

Damit gab ich mich nicht zufrieden:

Wenn die Diode mit einer Stromquelle verbunden ist, müsse doch sicher mehr Leistung herauszuholen sein. Und auch unterwegs könnte Radio gehört werden, dachte ich!

Grafik Wilfried ,Schrolli' Schroeder
Grafik Wilfried ,Schrolli' Schroeder

Also verband ich die Diode mit dem Dynamo meines Fahrrades, steckte den Stöpsel ins Ohr, schaltete den Dynamo ein und fuhr los. Das Ergebnis: kein Radio, nur ohrenbetäubendes Knattern im Hörer.

 

Es waren die Jahre, in denen die ersten Transitorradios verkauft wurden. Ein leider für mich unerfüllbarer Traum, denn die Geräte waren fürs Taschengeld unerreichbar teuer.

Bei Vennemanns in Handorf

Himmelfahrt 1956
Himmelfahrt 1956

Sehr erinnerlich sind mir die Jahre, als meine Eltern und wir Kinder - letztere eher etwas missmutig - von der Wiener Straße aus zu Fuß nach Handorf wanderten. Meistens gingen wir zuvorderst, die Eltern hintendran, die ab und zu mahnend auf uns einwirkten, gerade zu gehen. Mein Bruder Thomas (rechts) und ich trugen stolz neue Dufflecoats von Hettlage - meine Mutter elegant im grauen Kostüm, geschneidert von Fräulein Dartmann.

 

Die Ausflugsgaststätte Vennemann war oft das Ziel. Wir saßen dann auf der herrlichen Terrasse direkt an der Werse. Ein Glas Malzbier oder Regina-Brause gab's für uns Kinder. Kuchen bekamen wir seltener, weil er eben teuer war.

Kaffeetrinken bei Vennemann  - Garten und Werse um 1960
Kaffeetrinken bei Vennemann - Garten und Werse um 1960

Von der einstigen Idylle an der Werse ist leider nichts erhalten geblieben. Nach dem Abriss der Gastwirtschaft Vennemann entstand an dieser Stelle ein Wohngebäude.

Die ersten Reisen

Abfahrt zum Sonntagsausflug
Abfahrt zum Sonntagsausflug

Es ist die Zeit, die vielen Menschen das Reisen wieder ermöglicht. Hatte man zunächst ein Fahrrad, dann ein Moped und später vielleicht eine Vespa, bescherte das Auto große Mobilität. Ferien auf einer Nordseeinsel, eine Autoreise nach Südtirol oder gar ein Flug nach Mallorca werden immer mehr zur beliebten Selbstverständlichkeit.

 

Meine Eltern besaßen nie ein Fahrrad, geschweige denn ein Auto. Mein Vater reiste bei seiner beruflichen Tätigkeit innerhalb Westfalens mit der Bahn. Ansonsten wurde der Bus genommen.

Der Stolz einer jeden Familie: Das erste Auto
Der Stolz einer jeden Familie: Das erste Auto
Henning 1964 - Die Europabrücke im Hintergrund
Henning 1964 - Die Europabrücke im Hintergrund

Noch im hohen Alter von mehr als 95 Jahren benutzte meine Mutter für ihre täglichen Fahrten ins Zentrum der Stadt den Bus, um bei Horten ihren Kaffee zu trinken.

 

Mit meinem ersten Auto - einem gebrauchten Fiat 600 - fuhr ich mit den Eltern nach Sterzing/Meran in die Ferien. Die Enge des Autos war nicht wichtig, vielmehr das Erlebnis, dorthin fahren zu können, wohin man wollte. Meine Eltern verließen sich voll und ganz auf meine jungen Fahrkünste und sind nach einem riskanten Überholmanöver wohlbehalten in Münster wieder angekommen.

Meine Eltern (Bildmitte)  1960 in der Nähe des Schliersees
Meine Eltern (Bildmitte) 1960 in der Nähe des Schliersees

Die Kleidung im Wandel

Junge Frau am Servatiiplatz um 1950
Junge Frau am Servatiiplatz um 1950

Auch in der Freizeit wird Krawatte getragen. Meinen Vater habe ich nie in Jeans erlebt. Zeit seines Lebens trug er Anzug - später auch eine sogenannte Kombination - und (fast-) immer Krawatte.

 

Für Mädchen war das Tragen von Hosen absolut tabu. So war es zum Beispiel den Schülerinnen der Marienschule verboten, in Hosen in der Schule zu erscheinen. Aber dieses Verbot wurde mit allerlei Geschicklichkeit und List umgangen - die Mädchen muckten auf. Vor der Schule wurde die Hose mit dem Rock getauscht. Oder auch nicht, sie nahmen dann den Tadel mit einem Elternbrief bewusst in Kauf - eine Rebellion gegen alte Konventionen und die vorherrschende Muffigkeit.

 

So wie sich das Freizeitverhalten im Laufe der Jahrzehnte änderte, so änderte sich gleichermaßen auch die Form der Kleidung.

Ein Schlusswort

Über den Treff am Lambertus-Brunnen, über die Schützenvereine, über das Baden am KÜ und über vieles mehr könnte erinnert und geschrieben werden.

 

Um den gesetzten Rahmen nicht zu sprengen, bitte ich um Nachsicht, wenn ich nicht alle Themenfelder behandelt habe. Vielleicht ergibt sich ein anderes Mal die Gelegenheit, darüber zu schreiben.


Quellen

Text und Idee: Henning Stoffers

Abbildungen, soweit nicht anders angegeben:

Sammlung Stoffers (Münsterländische Bank - Stadtarchiv)