Liebe Leserin, lieber Leser,

in den 60er Jahren wohnte ich nahe der Warendorfer Straße und so habe ich zu ihr einen besonderen Bezug. Es ist daher ein besonderes Vergnügen, einmal über diese putzmuntere Straße zu schreiben.

 

Bei meiner Recherche konnte ich auf viele alte Postkarten zurückgreifen, denn schon damals war die Warendorfer Straße ein beliebtes Fotomotiv für Ansichtskarten. Aus Platzgründen sehen Sie eine kleinere Auswahl.

 

Ihr Henning Stoffers


Die Warendorfer Straße

Ein Blick in die Vergangenheit

Mangerplan 1839 - 6222.284.15
Mangerplan 1839 - 6222.284.15

Die heutige Warendorfer Straße war im Mittelalter ein wichtiger Handelsweg in Richtung Osten. Über Telgte, Warendorf ging es zur Porta Westfalica und weiter. 1811 wurde die Straße unter den Franzosen zur Chaussee ausgebaut. Die heutige Trassenführung stammt aus dieser Zeit. Ab 1839 hieß die Straße ‚Chaussee nach Telgte‘. Seit 1873 gilt die heutige Straßenbezeichnung

Stadtplan 1903 - 6222.284.15
Stadtplan 1903 - 6222.284.15
Hufschmiede Jansen-Schulz, Warendorfer Str. 109
Hufschmiede Jansen-Schulz, Warendorfer Str. 109

Mit dem Wachstum der Stadt begann Ende des 19. Jahrhunderts eine rege Bautätigkeit. Neben den bereits vorhandenen einfachen Häusern entstanden großzügige Stadthäuser.

Nichts erinnert mehr daran, dass bei der Hausnummer 109 einmal eine Hufschmiede war. Heute hat an dieser Stelle eine Zweigstelle der Volksbank ihren Sitz.

Hier fing der Fotograf all das ein, was ihm bedeutsam erschien: eine repräsentative Häuserfassade, 3 Reiter (Offizier im Vordergrund, die Reiterin im Damensitz, dahinter Herr im feinen Reiterdress), eine Straßenbahn im Hintergrund.

Verwaltung, Bank und Versicherung

Landeshaus um 1901
Landeshaus um 1901

Am Anfang der Warendorfer Straße, am Mauritztor, stehen zwei repräsentative Gebäude: das 1901 erbaute Landeshaus und die Landesbank.

Das stark in Mitleidenschaft gezogene Landeshaus nach dem Krieg. Im unteren rechten Bereich ist der Sockel des Schorlemer Denkmals zu erkennen. Das Gebäude wurde abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.

Landesbank
Landesbank

Von dem Bankgebäude an der Friedrichstraße steht heute nur noch die alte Fassade. Der gesamte Baukörper wurde in den letzten Jahren von Grund auf modernisiert.

Die Westfälische Provinzial-Versicherung nahe der WarendorfernStraße
Die Westfälische Provinzial-Versicherung nahe der WarendorfernStraße

Gaststätten

Schon vor mehr als 100 Jahren gab es viele Gaststätten und Biergärten an dieser Straße. Der Gasthof Frönd hatte - wie viele andere Gaststätten auch - eine eigene Brauerei. Damals wurden die Abbildungen 'geschönt', um mehr Eindruck zu hinterlassen.

Linnenbrinks Conzert-Garten Hausnummer 30
Linnenbrinks Conzert-Garten Hausnummer 30

Und so sah Linnenbrinks Conzert-Garten fotografiert aus. Heute ist an dieser Stelle eine kleine grüne Insel.

Und das gab es im Bürgergarten: Sommer 1910 - Eine Dame frei! Eine Dame darf wohl ohne Eintrittsgeld mitgenommen werden. Oder vielleicht zwei Damen, da es zweimal angegeben ist?

 

Der Kutscherverein 'Unter uns' feierte dort ebenfalls.

Der Turnverein 'Westfalia' tagte weiter stadtauswärts bei Hölscher (später Deitert), Ecke Mondstraße. - Die prächtige Ansichtskarte zeigt das Lokal um 1900. Sehr schön ist die Eisenbahn dargestellt, die auf dem Bild eher Spielzeugcharakter hat. Die Dimensionen sind nicht stimmig.

Der Gertrudenhof Ecke Warendorfer Straße - Kaiser-Wilhelm-Ring. Traurige Berühmtheit erhielt der Saal des Lokals, als 1941 mehr als 400 verhaftete Juden dort festgehalten wurden. Von dort aus erfolgte die Deportation nach Riga. Nach dem Krieg wurden die Räumlichkeiten als Kino genutzt. Heute steht an dieser Stelle ein Geschäftshaus.

Kanalbrücke 1945

Diese beiden Fotos machte der Lehrer Ernst Wenzel im Sommer 1945.

 

Ein provisorischer Holzsteg verbindet die Ufer. Das Wasser des Kanals ist auf ein Minimum abgelassen, um mit den Reparaturarbeiten beginnen zu können. Die Böschungen waren zum Teil durch Bomben beschädigt. Blindgänger und andere Hinterlassenschaften des Krieges mussten geräumt werden. - Beim unteren Bild ist links eine zerstörte Brücke zu sehen.

 

Lange habe ich gerätselt, an welcher Stelle die Aufnahme gemacht worden sein könnte. Den entscheidenden Hinweis gab Paulheinz Wanzen - während des Krieges Lokalschriftleiter bei der Münsterschen Zeitung - in seinem Buch 'Das Leben im Krieg 1939-1946':

 

5. Januar 1946

Als ich gestern Mittag mit dem Autobus nach Münster fuhr, war gerade die Kanalbrücke am Aus- bzw. Eingang Warendorfer Straße wieder dem Verkehr übergeben worden, so dass nun wohl die von den Amis gebaute Notbrücke aus Holz verschwinden wird. Es muss aber noch viel anderes getan werden, ehe der Kanal wieder schiffbar und die Eisenbahn entlasten kann...


Liebe Leserin, lieber Leser

von Herrn Albert Gieseler erhielt ich die nachstehende Zuschrift, wonach es sich nicht um die Warendorfer Brücke handeln kann. Haben Sie vielleicht weiterführende Informationen? Für Hinweise danke ich sehr.

Henning Stoffers

 

...In Ihrem Kapitel "Warendorfer Straße" veröffentlichen Sie zwei Bilder von Ernst Wenzel und ordnen diese dem Kanalübergang der Warendorfer Straße zu. Das kann nicht stimmen: zumindest die Bahnbrücke blieb unzerstört. Meine Großeltern (Schiffahrter Damm 21, direkt am Bahnüberang der Warendorfer Bahn) berichteten von starkem Zugverkehr der Amerikaner direkt nach dem Kriege. Sie hatten einen Kleingarten hinter dem Pulverschuppen und erzählten von Leiche(n) direkt östlich an der Brückenrampe, wobei man das mit der Vereitelung der Brückensprengung in Bezug brachte. Die Straßenbrücke war wohl in der 2. Jahreshälfte 1946 (zumindest für den Zivilverkehr) nicht benutzbar: Meine Mutter (Warendorfer Str. 103) fuhr zu besagtem Garten mit meinem Kinderwagen über die Schleusentore, weil auch die Schleusenweg-Brücken zerstört waren. Allerdings kann ich mich nicht an Erzählungen meiner Großeltern von solchen Umwegen erinnern. Ich hatte Schulfreunde am Wilhelmshavenufer (Gärtnerei Heese), so dass ich ab ca. 1957 fast jeden Tag über die Warendorfer Brücke mit dem Rad fuhr. Damals waren noch beide alten Brücken in Betrieb.An deren Ersatz kann ich mich noch gut erinnern: Erst wurde südlich die jetzige Bahnbrücke gebaut, dann wurde die alte Bahnbrücke samt Zufahrten für den stadtauswärtigen Kraftverkehr hergerichtet (sehr schmal - ich erinnere mich an einen festgeklemmten britischen Militär-LKW). Der stadteinwärtige Verkehr lief über die Schleuse. die neue Brücke wurde etwas nördlich gebaut und nach Abbruch der Bahnbrücke (kurzzeitig weiträumige Umleitung nach Süden) in die jetzige Lage verschoben. - Dass die Aussage des MZ-Redakteurs nicht stimmen kann, zeigen:

 

- das schmale Widerlager (nicht für Bahn und Straße)

- das andersartige, viel filigranere Brückentragwerk

- die Bauart des Stegs (für militärische Zwecke völlig ungeeignet)

 

Ich tippe eher auf Guten Hirten oder Schillerstraße.

...

Einige weitere Bilder...

Deitert - Ecke Mondstraße
Deitert - Ecke Mondstraße
Haus Mauritzheide
Haus Mauritzheide
Warendorfer Straße mit Gertrudenhof hinten links
Warendorfer Straße mit Gertrudenhof hinten links
Höhe Kirchstraße, Blick stadteinwärts, links der Turm der Oberfinanzdirektion
Höhe Kirchstraße, Blick stadteinwärts, links der Turm der Oberfinanzdirektion
Gaststätte Peter in der Fremde
Gaststätte Peter in der Fremde
Brandebusemeier - Ecke Schifffahrter Damm
Brandebusemeier - Ecke Schifffahrter Damm
Gaststätte Deutscher Hammer
Gaststätte Deutscher Hammer
Gärtnerei Kracht Nr. 154
Gärtnerei Kracht Nr. 154
Geschäft Ahlene Nr. 59-61
Geschäft Ahlene Nr. 59-61