Liebe Leserin, lieber Leser,

das Geschehen rund um den Kirchturm von St. Lamberti war im Laufe der Jahrhunderte sehr wechselhaft:

  • ein Totengräber, der den Turm um ein Geschoss erhöht
  • die Käfige der Täufer
  • der Bischof, der den Kirchturm beschießt
  • der sich neigende Turm
  • der geflohene Türmer
  • der Neubau
  • ein schwerer Bombentreffer

All das und noch ein bisschen mehr…, davon handelt die neue Bildgeschichte.

 

Ihr Henning Stoffers


St. Lamberti - Turmgeschichten

Die Anfänge

Ansichtskarte 30er Jahre
Ansichtskarte 30er Jahre

Ganz gleich aus welcher Perspektive: krönender Abschluss oder bedeutsamer Anfang des Prinzipalmarktes ist Münsters Marktkirche St. Lamberti. - Ein beeindruckender Bau westfälischer Spätgotik, gebaut aus dem Sandstein der Baumberge.

Aufnahme um 1870.
Aufnahme um 1870.

Wann genau St. Lamberti errichtet wurde, ist nicht bekannt. Die Ursprünge dürften vermutlich im ausgehenden 11. Jahrhundert liegen. Es wird eine kleine, unscheinbare Kirche gewesen sein. Die Turmhöhe mag damals nur etwas mehr als 30 Meter betragen haben.

Bau der Kirche durch Kaufleute und Bürgerschaft

Um 1870 Ausschnitt - Deutliche Neigung des Turms, die Käfige sind nur schemenhaft auszumachen, gut erkennbar die beiden aufgesetzten Geschosse
Um 1870 Ausschnitt - Deutliche Neigung des Turms, die Käfige sind nur schemenhaft auszumachen, gut erkennbar die beiden aufgesetzten Geschosse

Die Bürger und die Kaufmannschaft mit weitreichenden Handelsbeziehungen waren 200 Jahre später zu Wohlstand und Ansehen gekommen. Ihre Frömmigkeit und Kunstliebe wollten sie mit Errichtung einer besonders prächtigen Kirche zum Ausdruck bringen. Um 1375 begann man mit dem Bau eines neuen Haupt- und Nebenchores in ihrer jetzigen Gestalt.

 

Der alte Kirchenbau wurde abgerissen, aber der alte Kirchturm blieb unangetastet. Im Laufe der folgenden Jahre gab es zwei Turmerhöhungen, wobei jeweils ein weiteres Geschoss auf den Turm gesetzt wurde.

 

Pest und Feuer

Zwei Katastrophen behinderten die Bauarbeiten: 1382 forderte die Pest unzählige Opfer. Der damalige Totengräber von St. Lamberti soll durch das massenhafte Sterben zu großem Reichtum gelangt sein, so dass er sich eines der beiden vorerwähnten Geschosse auf den Turm bauen lassen konnte.

 

Nur ein Jahr später, die Pestepidemie war gerade überwunden, wütete eine riesige Feuersbrunst, die große Teile der Stadt zerstörte. Die ‚Große Prozession‘ erinnert noch heute an beide Ereignisse.

Die Täufer

1534 zerstörten die Täufer die Altäre, fast alle Heiligenfiguren und Gemälde und vertrieben außerdem die Geistlichen. Im Januar 1536 wurden die drei Anführer der Täufer zum Tode verurteilt. Die Leichen der aufs Grausamste auf dem Prinzipalmarkt Hingerichteten kamen in eiserne Käfige, die ein Schmied aus Dortmund gefertigt hatte.

Die Käfige hängte man an der Südseite des Lambertikirchturms auf. Jan van Leyden in der Mitte, etwas höher als die beiden anderen, Bernd Knipperdolling und Bernd Krechting. Die Leichen wurden nie geborgen. Zur Erinnerung an das grausige Geschehen brennen in den Abendstunden drei Lichter in den Käfigen. Eine Installation von Lothar Baumgarten: ‚Drei Irrlichter, als Erscheinung von drei Seelen oder inneren Feuern, die keine Ruhe finden können.‘

 

Die Eisenkörbe haben die Jahrhunderte mit ihrer wechselvollen Geschichte gut überstanden: sie wurden erstmals im vorigen Jahrhundert restauriert, aber dies dann gleich zweimal - 1927 und 1945.

 

Nach der ersten Restauration wurde die zweite Reparatur bereits nach 18 Jahren erforderlich. Der fatale Bombentreffer von 1944 hatte die Käfige arg beschädigt. Zwei Körbe stürzten in die Tiefe, der dritte blieb beschädigt hängen. Leider konnte der alte Zustand der Käfige nicht mehr ganz wieder hergestellt werden, zu stark waren die Schäden.

 

Nach wie vor hängen die Käfige am Turm, der allerdings nicht mehr der alte ist.

Die Käfige des Professors Landois

1888 erwarb Professor Hermann Landois drei Nachbildungen der Käfige und hängte sie an einer Mauer neben seinem Wohnhaus, der Tuckesburg, auf. Landois steckte in die Käfige Puppen und ließ daneben am Mauerwerk große Zangen anbringen, typisch für seinen skurrilen Humor. Mit diesen Zangen, die glühend gemacht wurden, folterte man die Täufer zu Tode. Es dürften aber ebenfalls nur Nachbildungen der Folterwerkzeuge gewesen sein.

 

Die Stadt Münster hatte die Nachbildungen der Käfige fertigen lassen, um sie gegen die Originale auf dem Kirchturm zu tauschen. Da die Stadt hierfür keine aufsichtsbehördliche Genehmigung erhielt, konnte Professor Landois sie für seine Kuriositätensammlung erwerben. Die Originale der Käfige hängen nach wie vor am Kirchturm - entgegen aller anderslautenden Gerüchten.

Die Rats- und Brandglocke

Der damalige Turm wurde auch als Wächter vor Kriegs- und Feuergefahren genutzt. Die alte Rats- und Brandglocke aus dem Jahre 1594 hat die Inschrift: ‚Ich werde die Schreckliche genannt, weil ich die Bürger zur Stunde der Gefahr zusammenrufe. Im Jahre des Herrn 1594‘. Weiterhin trägt diese Glocke das Stadtwappen von Münster mit der Überschrift: ‚Des Rades wappen tho Münster‘.

 

Die eher etwas außergewöhnliche Form der Alarmglocke erzeugte einen ungewöhnlichen Klang und diente nur städtischen Zwecken. Ein Zusammenspiel mit den anderen Glocken gab es nicht. Sie harmoniert nicht mit dem Geläut. Sie wird heute noch zur Wahl des Oberbürgermeisters 'gebaiert':  Am Ende des Klöppels befindet sich eine große Öse. Durch diese wird ein Seil gezogen. An jedem Ende dieses Seiles muss eine Person stehen. Durch abwechselndes Ziehen und Loslassen des Seiles wird der Klöppel gegen den Rand der Glocke geschlagen.

Gefährdungen des alten Turms

Bereits im ausgehenden 16. Jahrhundert begann sich der Turm zu neigen. Das Fundament war für dieses Bauwerk nicht ausreichend befestigt. Diese Schieflage wurde mit Interesse und großer Sorge beobachtet. Früh begann man mehrmals mit kostenaufwendigen Verankerungen, die aber das Problem nie gänzlich beseitigen konnten.

 

Eine weitere Gefahr ging 1661 von der Beschießung durch den Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen aus. Die Stadt wollte sich seiner Oberhoheit entziehen und wurde daher belagert. Letztlich ergab sich die Stadt nach der Überschwemmung, die durch die aufgestaute Aa im Gebiet des heutigen Aasees ausgelöst wurde.

 

Die größte Gefährdung bestand aber 1812 in der Napoleonischen Zeit. Der französische Befehlshaber in Münster trug sich mit dem Gedanken, Kirche und Turm abbrechen zu lassen. An der frei gewordenen Stelle sollte der Napoleonplatz entstehen. Die Jakobikirche auf dem Domplatz war bereits der Spitzhacke zum Opfer gefallen. Glücklicherweise kam der Plan nicht zur Ausführung, weil die Franzosenherrschaft kurze Zeit später endete.

Der schiefe Turm von Münster und sein Abbruch

Es ist die Zeit des Kulturkampfes zwischen der Katholischen Kirche und dem preußischen Staat. Der Reichskanzler Bismarck wollte den Einfluss der Kirche einschränken. Der münstersche Bischof befand sich 1875 nach seiner Inhaftierung in Warendorf im Exil in den Niederlanden und kehrte erst 1884 triumphal nach Münster zurück. In dieser emotional angespannten, turbulenten Zeit kam es zur Entscheidung, einen neuen Turm zu bauen.

 

Der Zustand des Turmes wurde nach den wechselvollen Ereignissen immer bedenklicher. Die Neigung des Turms betrug nach einer Auslotung mehr als 4 Fuß, also etwa 120 Zentimeter. Die Bürgerschaft war entschieden gegen einen Turmabbruch.

 

Ausschlaggebend für den Abriss war letztlich ein heftiger Sturm, der am 15. Oktober 1881 große Verwüstungen in Europa anrichtete. Selbst für den Wächter auf dem Lamberti-Turm, Joseph Buschkötter, im Zweitberuf Schenkwirt, war es zu gefährlich, so dass er den Turm fluchtartig verließ. So begann bereits zwei Tage später der Abbruch.

Der neue Turm

Der alte Turm während des Abrisses. Der obere Teil ist bereits entfernt.
Der alte Turm während des Abrisses. Der obere Teil ist bereits entfernt.

Über den Bau des Turms wurde heftig und kontrovers diskutiert. Für die Restaurierung veranschlagte man damals 289.000 Mark, etwa 2.000.000 Euro. Die Geldmittel für den ersten Teil des Turmbaus brachte die Kirchengemeinde aus freiwilligen Spenden auf. Großzügige Mäzene unterstützten das Vorhaben. Eine Turmbaulotterie lieferte die Geldmittel für den Weiterbau.

Es gab etliche Entwürfe. So sollte zum Beispiel der neue Turm ähnlich wie der bisherige aussehen. Dies hatte das Berliner Denkmalamt zur Auflage gemacht. Letztlich setzte sich der damalige Pfarrer Hermann Joseph Kappen mit seinen Vorstellungen durch: ein neugotischer Turm, eine kleinere Kopie des Freiburger Münsters, knapp 100 Meter hoch. Die Auflage des Denkmalamtes wurde ignoriert.

Nach dem Entwurf des Architekten Hilger Hertel und unter dessen Leitung wurde in den Jahren 1887 bis 1890 bis zur Höhe des Kirchdachgesims gebaut. Nach einer fünfjährigen Pause vollendete sein Sohn Bernhard Hertel im Jahre 1898 den Turmbau. Am 16.8.1898 erhielt die Kreuzblume auf der Spitze des Turmes ihren Schlussstein.

Pfarrer Kappens Neujahrsgebet

Das dem Lamberti-Pfarrer Hermann Joseph Kappen fälschlicherweise zugeschriebene Neujahrsgebet stammt aus einer anderen Quelle. Kappen hatte es lediglich leicht verändert. Wegen der Originalität wird es hier wiedergegeben:

Herr, setze dem Überfluß Grenzen

   und lasse die Grenzen überflüssig werden.

Lasse die Leute kein falsches Geld machen

   und auch das Geld keine falschen Leute.

Nimm den Ehefrauen das letzte Wort

   und erinnere die Männer an ihr erstes.

Schenke unseren Freunden mehr Wahrheit

   und der Wahrheit mehr Freunde.

Bessere solche Beamte, Geschäfts- und Arbeitsleute,

   die wohl tätig, aber nicht wohltätig sind.

Gib den Regierenden gute Deutsche

   und den Deutschen eine gute Regierung.

Herr, sorge dafür, daß wir alle in den Himmel kommen

  - aber nicht sofort.

Amen.

 


(* 18.11.1818, † 28.01.1901)

Bombentreffer

Sommer 1945
Sommer 1945

Im 2. Weltkrieg zerstörte am 20. März 1945 - also in den letzten Kriegstagen - eine Bombe einen tragenden Pfeiler des Turmoktogons. Auch der Kirchenraum und das Dach wurden erheblich beschädigt. Die Standfestigkeit des Turms blieb glücklicherweise erhalten.

Ende 40er Jahre
Ende 40er Jahre

Ein neuer Pfeiler konnte in den ersten Nachkriegsjahren wieder eingebaut werden. Erst 1954 war der Kirchturm wiederhergestellt. Über viele Jahre danach konnte die Reparaturstelle ausgemacht werden, weil sie sich durch eine helle Verfärbung von der dunklen Bausubstanz abhob.

50er Jahre
50er Jahre

Quellen

Walter Werland: Münster so wie es war

Hans Josef Böker: Die Marktpfarrkirche St. Lamberti zu Münster

Ficker-Hellinghaus: Der Kulturkampf in Münster

Kaplan Lepping: Mittheilungen aus einer kurz gefassten Chronik

Das schöne Münster: Heft 1/1931

Das schöne Münster: Heft 5/1935

Archiv Henning Stoffers