Liebe Leserin, lieber Leser,

Mein erstes Fahrrad / ...Rädchen 1955
Mein erstes Fahrrad / ...Rädchen 1955

dieser Beitrag führt in das alte Pluggendorf der 1950er-1960er Jahre. Heinrich und Elisabeth  Schmitz betrieben dort ein bekanntes Fischhaus.

 

Ihr Sohn Dieter Schmitz hat seine Erinnerungen an diese Zeit sehr detailreich und authentisch niedergeschrieben. Er lebt jetzt in Würzburg und besucht jedes Jahr immer wieder gern seine alte Heimatstadt.

 

Ihr Henning Stoffers


Erinnerungen: Fischhaus Pluggendorf H. Schmitz

Kindergarten in Pluggendorf, An den Bleichen, Abschlussjahr 1955/1956, Alter ca. 6 Jahre - Dieter in mittlerer Reihe mit weißem Jäckchen, und viele künftige Schulkinder
Kindergarten in Pluggendorf, An den Bleichen, Abschlussjahr 1955/1956, Alter ca. 6 Jahre - Dieter in mittlerer Reihe mit weißem Jäckchen, und viele künftige Schulkinder

Münster, speziell das “Pluggendorfer Viertel” ist für mich Kinderstube und Spielplatz, zugleich aber auch Gehorsam und pflichtbewusstes Arbeiten im elterlichen Betrieb. Letzteres waren für mich bzw. für uns Kinder, meiner Schwester Gabi und ich, Heinz-Dieter, nicht immer schön und auch häufig sehr traurig, nämlich die Schattenseiten.. Meine Eltern führten als Selbständige seit 1952 das in Ihrem Beitrag beschriebene “Fischhaus Pluggendorf, mit Verkauf von Fisch- und Feinkost” – so hieß es exakt. Das Geschäftszeichen, eine Hanse-Kogge, war zu sehen draußen auf dem Transparent.

Einschulung Ostern 1956, rechts Dieter mit Mutter und Schwester Gabriele. Alle katholischen Pluggendorfer Schulkinder mussten bis ca. 1959/60 in die im Südviertel gelegene Josefschule, Nähe der Kirche St. Josef und Ecke Burgstraße/Hermannstraße, gehen. Das war für uns Kinder in dem noch jungen Alter ein langer Weg. Sogenannte “Helikopter-Eltern”, die ihre Kinder heute per “SUV” zur Schule bringen, gab es damals nicht. Wir hatten Unterricht im wochenweisen Wechsel vormittags bzw. nachmittags. Auf diesem Bild ist im Hintergrund ein kleines Stück vom Bauhof der künftigen neuen Volksschule von Pluggendorf zu erkennen.

Wir Kinder mussten schon als 8-jährige hinter der Theke stehen und Lebensmittel verkaufen. Als 12-jähriger habe ich nachmittags meinem Vater bei der Buchführung geholfen. Abends, nach Geschäftsschluss hatten wir Kinder die Behältnisse für Fisch und Salate abwaschen müssen und teilweise das Ladengeschäft mit geputzt. Erst danach konnten wir uns dann schnell auf den Weg zu einer Vorstellung ins Theater vom Theaterjugendring machen – manchmal schliefen wir dann ein. Frühmorgens vor der Schule, teilweise nachmittags aber besonders zum Abend hin habe ich an drei Tagen in der Woche Fisch zu Kunden und vor allem zu Gaststätten per Fahrrädchen und später per großem Fahrrad ausgeliefert. Unsere Kunden waren z.B. die Gaststätten Westhues, Ägidihof, Hansahof, Zum Türmchen, Hildegardisschule, um nur einige zu nennen. Auch waren viele Privatleute als Anlieferkunden dabei. Da freute ich mich immer über ein paar Groschen Trinkgeld.

Dieter mit seinem englischen Freund Peter im Jahre 1960, der auch zu Besuch in meiner Schulklasse war und dafür extra seine britische

Schuluniform angezogen hatte.

 

Im Hintergrund ist die neue Volksschule von Pluggendorf an der Scharnhorststraße zu sehen, eine katholische, mit dem Namen Antoniusschule - sprachliche Anlehnung an die Kirche St. Antonius.

Interessant war es auch zu erfahren und mit zu bekommen, wie viele Kunden “Anschreiben” ließen und das sich dabei Beträge bis zu 5-stelligen DM-Werten/Kunde innerhalb kürzester Zeit addierten. Es waren auch Kunden aus unserem Wohnhaus und aus direkter Nachbarschaft dabei. Wir Kinder wunderten uns darüber und auch deshalb, weil diese Kunden häufig teure Waren kauften.

Somit waren die Schattenseiten unserer Kindheit solche, dass andere Kinder in diesen Zeiten Freizeit hatten und sie sich mit spielen oder sich sonst wie verwöhnen zu lassen nutzen konnten. Das hat uns sehr gefehlt.

Doch ein besonderer Stolz meiner Eltern und zu unserer Freude kam es dann, als sie uns Kindern ein Segelboot, eine “Piraten-Jolle” für den Aasee kauften und uns so das Segeln und den Segelschein ermöglichten. So lernten wir auch eine besondere Art der Verantwortung für Material und Mensch kennen. Meinem heutigen Segelclub in Franken habe ich vor einigen Jahren eine Segeljolle für die Nachwuchsförderung und Jugendarbeit übergeben mit dem Hinweis, welche Eigenschaften auch zum Segeln gehören, nämlich Kameradschaft, Strategie und Verantwortung für Material und Mensch. So haben mich mein Elternhaus, die “verflixt blöden Arbeiten” im Fischladen und der Segelsport sehr geprägt.

Dieter 1967 mit seiner Velo Solex.

Dieses Zweirad wurde mittels kleiner Rolle über dem Vorderrad mit einem ca. 1 PS starken Zweitaktmotor angetrieben. In den 1960er Jahren

 

war es ein Fahrzeug mit Kultstatus und nach heutiger Sprachweise, im Jahr 2021, ein unbedingtes “Must Have”.

Neben meinem Studium zum Betriebswirt haben mir diese Arbeiten wohl das Rüstzeug für meine spätere Aufgabe als Kfm.Leiter und Personalchef (Industriebetrieb mit ca. 650 MA) gegeben. Es war nicht alles gut – es war nicht alles schlecht – aber so ist es, das Leben!

Dass mir “sogenannte Freunde”, Klassenkameraden und Erwachsene und alle damaligen Segelclubmitglieder schon als kleinen Jungen den Spitznamen “Fischlein” gaben, hat mich nicht geehrt, sondern immer sehr traurig gemacht, und ich habe darunter sehr gelitten, denn mit diesem Spitznamen reflektierten sie immer abfällig auf das Geschäft meiner Eltern. Beachte: Damals wart Fisch noch ein “Armeleuteessen”.

So, Herr Stoffers, nun haben Sie mich ein wenig kennen gelernt, wenn auch nicht persönlich. Ich habe nun eine Bitte zu Ihren Ausarbeitungen verbunden mit einen Änderungswunsch: In Ihrem Text zu “Erinnerungen an die 1950-er Jahre “..... Und beim Fischhändler ..... wickelte man den Fisch in Zeitungspapier: Dies ist eine absolut unwahre Widergabe, was Sie ja nicht wissen können und es ist auch kein Vorwurf. Meine Eltern haben alle Jahre wieder mal das Ordnungs-, Gesundheits- und Veterinärsamt bei uns zur Geschäftsprüfung gehabt und es kam nie zu Beanstandungen. Dies eben auch deshalb, weil meine Eltern Frischwaren wie den aufgeführten “Fisch” in Ihrem Text zunächst in Pergamentpapier und dann erst in Zeitungspapier einwickelten. Das war korrekt! Es gab jedoch Kunden und/oder Nachbarn, ich möchte hier keine Missgunst unterstellen, die meinen Eltern aus welchen Gründen auch immer wohl meinten, ihnen das Ordnungsamt ins Geschäft zu schicken.


Dieses Bild widme ich meinen im Jahre 2004 verstorbenen Eltern. Mit diesem Segelboot haben sie uns Kindern, wie schon erwähnt, eine besondere Freude bereitet und unsere täglichen Arbeiten im Fischgeschäft in vielfältiger Weise sehr gewürdigt.

 

Nachfolgend eine Beschreibung unseres Segelbootes:

Typ: Piratenjolle. Segelfläche von Großsegel und Fock: 10 m2. Spinnacker: 10 m2. Insgesamt 20 m2. Im Großsegel sieht man das internationale Boots-Klassenzeichen, ein”Hackebeil”, und die internationale Registrier-Nr. “G-757”.

 

Mit dem Boot habe ich an vielen nationalen Segelregatten teilgenommen. Hier bei einer Regatta 1966 auf dem Aasee. Im Hintergrund zu sehen ist noch die alte Tormin-Brücke.

 

Sie ist in den 1980er Jahren durch eine neue Brücke ersetzt worden. Zwei aufregende Besonderheiten hatte unser Segelboot und das möchte ich gerne erzählen: 1. Das Boot wurde getauft auf den Namen “Knurrhahn” und die Namensbeschriftung erfolgte durch meinen Vater mit schöner geschwungener Schrift vorne am Bug, jeweils auf der Steuer- und Backbord-Seite. Üblich war damals die Beschriftung am Heck und für meinen Segelclub “nicht stilecht” und es folgte die erste große Aufregung. 2. Von meinem damals schwer ersparten Taschengeld hatte ich mir den Spinnacker gekauft und zwar in den Farben”Schwarz-Rot-Gold”. Das fand ich “cool und mega...” Ich war stolz auf diese Farben und wollte mich mit diesen Farben einfach nur von den anderen Booten etwas abheben. Alle anderen hatten so irgendwelche bunte Lappen davor. Das brachte mir dann den nächsten großen Ärger im Club ein und ich fragte mich:”Wer hat denn damit ein Problem, oder?


Quellen

Text und Fotos: Dieter Schmitz

Redaktion: Henning Stoffers