Karnevalstreiben im alten Münster

Schon zu der Zeit, als der Karneval in Münster noch „Vasselawend“ hieß, ließen es die Narren hier so richtig krachen. Von einer „eigenwilligen Raserey beseelet“ zogen „Männer in Weiber-, und Weiber in Männerkleidern“ um die Häuser. Die Chronisten entrüsteten sich über „Ausschweifung und Torheit, die alle mitmachen“ und stellten entsetzt fest: „Sie saufen, fressen und schwelgen von Fastelabend bis Fastnacht“.


Das hatte auch einen Grund: Fastnacht, der Dienstag in der siebenten Woche vor Ostern, war der letzte Tag vor dem Beginn der vorösterlichen Fastenzeit. Deshalb wurde da noch Mal richtig die Sau rausgelassen. Die „Rauigkeit der Sitten“, beschrieb der Rektor der Münsterschen Lateinschule, Hermann von Kerssenbroich, so: „Das Carneval feiern sie mit solcher Ausschweifung, dass sie glauben, bei dieser Gelegenheit seyn ihnen alle Torheiten erlaubet“.


Anscheinend trieben es die Münsteraner gleich so wild, dass der Rat der Stadt durchgriff und im Jahr 1560 ein Vermummungsverbot erließ. Dann wurden auch noch Würfel- und Kartenspiele verboten und schließlich sogar „Lustbarkeitssteuern“ erhoben.
Aber der „gemeine Westphälinger“ ließ sich das Feiern nicht verbieten und zog weiter Jahr für Jahr „mit großem Überfluß und Muthwillen“ grölend durch die City.


Auch während der Friedensverhandlungen ging es rund. Sogar der spanische Abgesandte, der die westfälische Metropole zunächst ziemlich öde fand, schrieb begeistert nach Hause: „Ganz Münster ist ein Freudenthal!“ Münsters älteste Karnevalsgesellschaft, die 1833 gegründet wurde, fand die „fachmännische Äußerung“ so großartig, dass sie sich KG. Freudenthal taufte.


Sehr beliebt waren so eigenartige karnevalistische Bräuche wie das „Zehenbeißen“: Am Fastnachtsmontag rannten die Weiber hinter jedem Kerl her, der einen halbwegs beziehungstauglichen Eindruck machte, und versuchten ihm die Stiefel auszuziehen und in die große Zehe zu beißen. Am nächsten Tag umgekehrt. Ein Renner war auch das  „Wurstsingen“. Dabei zogen die Kerle verkleidet und maskiert von Haus zu Haus mit einer „Schneese“ (Stock) oder einer „Schnüddegaffel“ (Gabel) woran die Würste oder der Schinken gehängt wurden, die zur Belohnung für das vorgetragene Liedgut gab. Bei diesen Umzügen spielte der „Rummelpott“ oder „Fuckepott“ eine wichtige Rolle. Das war ein selbst gezimmertes Musikinstrument aus einem Tongefäß, einer Schweinsblase und einem Teichrohr. Die Töne sollen allerdings „wenig harmonisch“ gewesen sein.


Von frenetischen Zehenbeißern und jaulenden Rummelpötten nervlich zerrüttet, gab die Domkapitularische Landesregierung in Münster im Februar 1802 bekannt, dass das zur Fastnachtszeit übliche Umherjagen berittener Bauernknechte behufs Einsammelns von Geschenken zu den Fastnachtszechen bei einer Strafe fon 25 Reichsthalern verboten sei. Nicht ganz so happig (5 Reichsthaler) war das Erscheinen auf öffentlicher Straße „in unanständiger Verkleidung oder mit masquierten oder gefärbten Gesicht“.


Diese Strafen nützen aber nix, denn Münster zählte bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu den närrischen Hochburgen. Auch bei der High Society herrschte während der tollen Tage Jux und Dollerei: Auf einem karnevalistischen Ball soll der durchgeknallte Baron Gisbert von Romberg (der Tolle Bomberg) den feinen Damen ausgehungerte, chloroformierte Flöhe ins Rücken-Dekollete´ untergejubelt haben. Als die Flöhe aus ihrem Koma erwachten, „wussten sich die Damen vor Juckreiz und körperlicher Peinigung nicht mehr in gesellschaftlichen Umgangsformen zu bewegen“.


Mit den Gründungen von Karnevalsgesellschaften wie der KG. Freudenthal wurden die alten Bräuche etwas verdrängt und bald prägten intellektuelle Anspielungen und politische Satire die närrische Szene. Besonders die preußische Regierung wurde durch den Kakao gezogen. Der König als Landesherr war deswegen ziemlich angefressen und deshalb wurde 1835 ein „Reglement in Beziehung auf die Karnevalsmaskeraden“ erlassen. Hier heißt es unter anderem: „Alle Personen, die sich maskiert auf den Straßen oder öffentlichen Plätzen zeigen wollen, haben sich mit einer polizeilichen Legitimationskarte zu versehen, wofür an die Armenverwaltung drei Silbergroschen gezahlt wird.“


Bei den damals besonders beliebten Maskenbällen kam man nur als „anständig maskierte Person“ rein. Es sei denn, man war eine potentielle Schwiegermutter. So stand in einer Zeitungsanzeige von 1837, dass „Damen, deren Töchter auf dem Balle des Schauspielhauses erscheinen“, vom Maskenzwang befreit sind.